Bismarck 01
»der kleine Echte«, »der Cerevisianer«, »der Türke«, »der dicke Herr«, »der geliebte Iwan« und andere große Geister in uferlosem Leichtsinn. Andere Kommilitonen, wie Fischer und Oldekop, mit denen Otto sich anfreundete, Hasso Froßhort, Hoppenstedt, Zimmermann, Wehner rechneten darauf, durch ein glückliches Ungefähr ihr Staatsexamen zu machen. Der lange Graf Kayserlingk aus Kurland biß vor dem märkischen Junker den erlauchten Standesgenossen heraus, doch machten Adelig und Bürgerlich im Korpsverkehr keinen Unterschied. Bei allgemeiner brüderlicher Fidelitas vergoß man nicht immer Bier, begabtere junge Leute schwangen sich bis zu Madeira auf. Kam aber die Rede auf die sogenannte Zukunft, lief den meisten eine Gänsehaut über den Rücken.
»Ich bring's nur zu fauler Advokatur«, jammerte der Rechtskandidat Dammers. »Da vegetiert man so hin wie 'n Laubfrosch.«
»Er hat wie üblich den ersten Schwips!« erläuterte der »Türke« jovial. »Von irgendwas muß doch der Mensch in seinem Harem leben. Prost, Kollege! Bin ich erst Advokat, laß man gut sein, da leb' ich in lauter Pläsier und Freuden.«
»Ja, du! Wenn du den ersten Taler verdienst, dünkst du dich Gott in Frankreich. Das liegt bei dir im Temp'rament. Ach, wir armen bekümmerten Sterblichen!« Dammers zerdrückte eine Träne der Rührung.
»Und ich,« hob Couleurbruder Söllow düster an, »werde als Stadtgerichtsrat ins ewige Philisterium eingehen.«
»Ich schlage vor, Söllow auf den Namen ›der betrübte Lohgerber‹ taufen zu lassen«, lachte Scharlach.
»Seid doch nicht so miesepetrig, Kerls! Alldieweil fidöll, ergo bibamus ! Trübsal blasen kommt früh genug, wenn uns das Zipperlein beißt.«
»Serr warr!« schnarrte Kayserlingk, der bolzengrad am Tische saß. Seinen baltischen Akzent als verfolgter Stammesbruder warf er in den Chorus wie ein Echo die Frage, was ist des Deutschen Vaterland. »Die Errde ist ein Jammertal und muß mit Sprit begossen werden.« Der Bulle gröhlte: »Der Spiritus im Keller brennt«, der Jude prahlte: »Mein Name ist Götz v. Berlichingen.«
» Man, being reasonable, must get drunk, the best of life is but intoxication «, raunte ein Engländer namens Wright dem sprachkundigen Otto ins Ohr, dem dies bittere Byron-Zitat gut mundete. Dieser edle Brite ließ sich herab, ein Semester auf der Georgia Augusta zu verbummeln, statt in Oxford Milchpunsch und Brandy mit seinem Beifall zu beglücken. Solche Leute würdigten die deutschen Michel ehrfurchtsvoll und baten um ein Rezept für echten vornehmen Spleen.
»Hängt! Hier wird keine fremde Wildsprache durch die Zähne gekaut!« brummte ihm Scharlach einen Ganzen auf, welcher Herausforderung der Insulaner ehrenfest nachkam. Die Überlebenden schafften sich gegenseitig in die Klappe, »Ade, mein Land Tirol!«, Lauenstein segnete pastoral: » Pax vobiscum !« –
»Schriebst du deinen Alten schon«, fragte Scharlach, der allein zurückblieb, seinen Busenfreund, »von wegen Eselskinnbacken der Philister, o lockiger Simson, und der aufgelaufenen Kreide, in der du sitzest?«
»Nee! Trinke lieber zwei Flaschen Rheinwein als einen Brief zu klieren. Beim Anblick einer Feder krieg' ich Krämpfe. So was läßt man ankreiden bis zum Jüngsten Gericht. Von meiner Rechtschaffenen heut 'ne erbauliche Epistel, weil ich gesagt hätte, in der Bibel sei das meiste bildlich gemeint. Soll sofort zum Seelsorger, um mich aufzukratzen für standesgemäße Bibeltreue. Und dabei glaubt sie selber nischt, will nur als strenge Mama fuchteln. Ja, meine Zukunft is ooch'n sogenannter Jenuß. Weißt du, Gustav, ich werde der größte Lump oder ...« Er hielt inne und starrte ins Glas.
»Oder? Na was denn? Schieß los!«
»Ach, mir ist so sonderbar, ich hab' 'nen Rappel im Kopp.«»Sprich dich aus! Du wirst nicht der größte Lump, sag' ich dir. Doch was »oder?«
»Lach' mir nur aus! Oder der erste Mann in Preußen.« Er murmelte es zögernd. Dazu konnte Scharlach nur gutmütig lächeln: »Schlaf dich aus!« –
Am 4. Juli 1833 feierten die transatlantischen Freunde noch mal das amerikanische Nationalfest unter sich. Es war wie eine Abschiedsfeier, denn Otto zog nach Vollendung seines dritten Semesters jetzt nach Berlin, nach der alten Sitte, die Universität zu wechseln. »Ich will mich verändern, sagte das Dienstmädchen. Vielleicht bringt mir Savigny die nötigen Flötentöne bei. In Göttingen ist mein Ruf doch unheilbar, kein Mensch traut mir ein Kollegienheft
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