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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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allen neugeborenen Gedanken verüben möchte. Die wahre Kunst einer heutigen Konterrevolution soll aber darin bestehen, die aus allen Ufern tretende Flut des Modernen den alten Deichdämmen des historisch Gewordenen anzupassen. Die Vergangenheit gehörte Herrn v. Metternich, den man in Deutschland Mitternacht taufte, die Zukunft muß Preußens Erbschaft sein. Könnte der verbrauchte Routinier in mich hineinschauen, so würde er mich als Ketzer verfluchen, der ein Schisma begründen will. Er wird wohl der letzte dieser Staats-Leibärzte sein, die sich mit schwachen Purganzen für äußerliche Symptome begnügen, statt je die Sonde tiefer zu senken und zum Sitz des wahren Übels vorzudringen. Für seine Heilmittelchen und hippokratischen Formeln von Diagnose und Rezept ist die Zeit dahin, man hat zu viel Licht über das Laboratorium der Regierungen ergossen. Neulich, als zu Ehren des Kaisers von Österreich sich beim Staatsdiner 20 000 Taler in Goldepauletten und Goldlitzen zu Tische setzten, schaute das Volk grimmig zum Fenster herein.
    *

Unter den schwebenden Fragen stand die des Zollvereins im Vordergrund, dessen wirtschaftliche Führerschaft Österreich von Preußen abschwindeln wollte. Ebenso zähe und heimtückisch hintertrieb es Preußens Wünsche auf anderen Gebieten. Äußerlich schienen in Frankfurt die Räder etwas besser mit dem Öl geselliger Höflichkeit geschmiert, seit Otto eine offene persönliche Aussprache mit Thun herbeiführte und ihm freimütig seine Sünden vorhielt. »Sie werfen absichtlich Hindernisse in den Weg unserer diplomatischen Relationen durch Ihre ausgesprochene Unhöflichkeit und Nichtachtung.« Der geschmeidige Österreicher schluckte die bittere Pille dieses Freimuts knirschend herunter, erging sich in Entschuldigungen und Versprechen, und begann auf einmal viele Rücksichten zu nehmen. Wohlgemerkt nur gegenüber diesem gefährlichen Unhold, denn sonst beharrte er bei kavaliermäßiger Be- oder Mißhandlung der Bundesmitglieder. Heimlich kochte er natürlich vor Wut und hetzte das Wiener Kabinett auf. Otto täuschte sich nicht im mindesten über den nur äußeren Waffenstillstand. »Ich kam her ohne jugendliche Illusionen,« äußerte er im Familienkreis, »doch sicher nicht als entschlossener Opponent. Aber ich müßte keinen Tropfen preußischen Bluts im Leibe haben, wenn ich auch nur eine mäßige Vorliebe für dies Österreich bewahrte, wie seine gegenwärtige Regierung es darstellt.«
    Im November kam die Nachricht, daß Ernst August von Hannover starb, Mitgründer eines Steuervereins, der sich gegen Preußens Zollunion richtete. Den neuen König zu überrumpeln, der als Blinder gewiß keine Übersicht hatte, schien Thun so leicht, daß er Baron Nell hochgemut zurief: »Jetzt haben wir das Spiel gewonnen.« Er wußte nicht, daß der blinde König mit großer Anstrengung sich auf dem laufenden erhielt und in seinem Welfenstolz eine hartnäckige Selbstbehauptung vollführte, die geradeso wenig wie von Preußen von Österreich abhängen wollte. Als daher Thun bei längerer Unterhaltung über die Zollpolitik ironische Andeutungen machte, öffnete ihm Otto ein wenig die Augen. »Sie sind schlecht informiert. Seine Majestät macht den physischen Defekt durch strengen Fleiß wieder gut und vertieft sich in alle Gegenstände. Übrigens käme jede Abänderung zu Ihren Gunsten zu spät, denn es ist kein Geheimnis mehr, daß unsere Regierung schon im September einen Geheimvertrag mit Hannover schloß über Fusion des Separatvereins mit der sonstigen Union.«
    Thun wurde purpurrot vor Zorn. »In der Tat, so? Und was werden die anderen Mitglieder dazu sagen, daß man über ihren Kopf weg so verfuhr?«
    Bismarck verneigte sich. »Ein weites Feld für Ihre Aktivität, Exzellenz.«
    »Und die Ihre. Das ist wieder Ihr Werk, verehrter Kollege, ich erkenne Ihre gediegene Handschrift. Doch ich gestatte mir diefreundschaftliche Warnung, daß Österreichs Geduld nicht unerschöpflich ist. Wir sind nun mal der leidende Teil, aber nicht immer.«
    »Sie leiden gewiß grenzenlos als Opferlamm, das weiß ich aus Erfahrung.« Otto warf ihm einen scharfen Blick zu. »Doch darf ich Eure Exzellenz fragen, wohin diese Warnung zielt?«
    »Jessus-Maria-Josef, Sie verlangen etwas viel Offenheit. Schauen's, Preußen kommt mir vor wie ein Mann, der einmal das Große Los in der Lotterie gewann und nun seinen Haushalt so einrichtet, als müßte sein Glück sich jährlich wiederholen.«
    »Leben wir auf so großem

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