Bismarck 01
Herren, dieser Zustand wird unerträglich. Über die Flottenfrage werden wir alle stolpern. Das gibt Ringkämpfe bis zu völliger Erschöpfung, denn Österreich hat da schon wieder eine Hand im Spiel, wie sie sich mit Fair Play beim Ringen und Boxen nicht verträgt.«
»Jaja, es möchte direkte oder indirekte Gewalt über dieNordseeflotte bekommen, ohne daß es die geringsten pekuniären Opfer dafür brächte«, bemerkte Schele.
»Aber ist sie der Nation unentbehrlich, diese Säuglingsarmada?« fragte Scherff. »Es sind doch nur«, er zählte an den Fingern der Hand, »drei Dampfer, zwei Segelfregatten, sechs Dampferkorvetten, siebenundzwanzig Kanonenboote, ein Transportschiff, und die Bemannung reicht nicht mal aus, nur neunhundert Mann.«
»Gerade genug, um Geld zu fressen. Wer kommt für den Unterhalt auf? Preußen verdanken die Schifflein ihre Existenz, denn hauptsächlich durch Sparpfennige preußischer Bürger sind sie bezahlt. Wir begreifen alle, daß Preußen niemals Österreichs Einmischung zulassen kann.«
»Nun gut, meine Herren, ich stelle morgen den Präliminarantrag, daß vorerst alle Rückstände von Quoten beglichen werden, die jeder deutsche Staat für die Instandhaltung der Flotte versprach, wie ja feierlich stipuliert.«
»Das wird böses Blut machen«, bemerkte Oertzen.
»Doch ich wittere den diplomatischen Schachzug«, lobte Schele. »Zahlt man nicht, dann steht der Bundestag vor der Nation blamiert, zahlt man, so will man natürlich einiges Anrecht behalten und wird die Flotte nicht an Österreich ausliefern. In jedem Fall steht Preußen als Förderer patriotischer Gemeininteressen da.«
Ein Berg von Protokollen türmte sich auf. Der schlaue Thun stellte sich manchmal an, als stehe er auf Preußens Seite, dann wechselte er die Front und griff Preußen an der Spitze der Kleinstaaten an. Zuletzt rückte die österreichische Partei im Bundestag mit dem Ansinnen heraus, Aufwand und Rückstände durch Anleihe bei Rothschild zu decken, auf die Sicherheit der Bundesgelder in seiner Bank. Doch Otto erhob nicht nur strenge Verwahrung gegen solchen Ausweg, sondern bedrohte Rothschild: »Wenn Ew. Hochwohlgeboren dem Bundestag Gelder auszahlen, die dort vertragsmäßig für bestimmte Zwecke deponiert sind, so tun Sie dies auf eigene Gefahr und Risiko.« In grimmer Aufregung bezeichnete der Ränkeschmied diesen Protest »als Insulte gegen den ganzen Bundestag und Mißachtung seiner Beschlüsse«. (Denn man hatte auch die nicht österreichisch Gesinnten teilweise zu einem Beschluß herumgekriegt, weil niemand gern neu einzahlen wollte.)
»Wir lassen uns auf keinen Kompromiß ein«, erklärte der Preuße bestimmt. »Die Flotte ist eine organische Institution und eine Nationalangelegenheit, dafür bedarf es Einstimmigkeit der Voten. Ihre Majorität gilt überhaupt nicht für Fragen, die Ihre Kompetenz überschreiten. Die Absurdität einer Mehrheit springt hier ins Auge. Österreich, Preußen und die vier Königreiche haben sieben, alle kleineren Staaten zusammen acht Stimmen, sie könnten also jedem Beschluß der sechs Hauptmächte opponieren, selbst wo es sich um Sein oder Nichtsein der Nationhandelt. Ich lege mein Veto ein und damit basta.« Er verließ erhobenen Hauptes die Versammlung.
»Verstehen Sie,« raunte Nostitz dem Württemberger zu, »der abscheuliche Kollege will die öffentliche Meinung aufreizen, die ganze Basis des Bundestags sei unmöglich. Der zielt auf nichts Geringeres hin, als die Sprengung des Bundes.«
Wie hätte ihn erst die Blasphemie entsetzt, mit der Bismarck auf weitem, einsamem Spaziergang, wobei er mit dem Spazierstock mehrere Disteln köpfte, vor sich hinsummte: »O Bund, du Hund, bist nicht gesund.« Er genierte sich auch nicht, zu Hause vor seinem diplomatischen Personal diesen Vers Heines zu wiederholen: »Das wird noch die deutsche Nationalhymne werden.« Trotzdem trat Waffenruhe ein, weil Thun auf Wink aus Wien einlenkte. Plötzlich erschien der russische Geschäftsträger am Stuttgarter Hof mit einer Vollmacht für den Bundestag und scharwenzelte dort längere Zeit herum. Er war ein sehr kleiner, beleibter, rosiger Herr, Fürst Gortschakow, Inhaber einer bestrickenden Freundlichkeit und eines tadellosen Französisch, in dem er gern längere Reden hielt. Dazu ergriff er die Gelegenheit am Schopfe, kaum daß er die Lage übersah, indem er den geschäftigen Mittler zwischen den grollenden Brüdern affektierte und sich hochbeglückt im Salon der Meyendorf die fetten,
Weitere Kostenlose Bücher