Bismarck 02
zu zögern pflegt.«
»Und daß Frau, Sohn, Schwiegertochter und andere Verwandte ihn umdrängen und bedrängen, nicht wahr, das wollten Sie sagen? Nun, mein Entschluß ist gefaßt, nämlich meine Pflicht zu tun, meinem Vaterlande jede Chance zu wahren, aus der man größtmöglichen Nutzen ziehen kann. Wird bis Neujahr die freche Dänenverfassung in Schleswig nicht abgeschafft, so erklären wir das Londoner Protokoll als hinfällig und rücken ein. Ich bin für sofortigen Einmarsch.« – –
Am Karlsbad in einer Gartenwirtschaft, wo man im Sommer saure Milch und jetzt Berliner Pfannkuchen nebst Punsch zu sich nahm, tauschten die Historiker Droysen und Sybel tiefe Ideen aus. Ersterer empfahl sich der Fortschrittspartei durch Biographie des alten Eisenfressers York, eines Erzfeudalen, der sein Leben lang Blücher, Gneisenau, Scharnhorst, Stein von Herzen haßte und den ein boshafter geschichtlicher Zufall zu einem angeblichen Befreiungshelden erhob. Weil er angeblich aus freien Stücken heroische Insubordination bei Tauroggen verübte und sein König aus bestimmten Gründen seine eigene bestimmende Urheberschaft bei dieser Tat verschleierte, welche in Wahrheit sein Mittelsmann Schön, der wahre Arminius Ostpreußens, durch einen Graf Lehndorff herbeiführte, mußte York als demokratischer Heiliger herhalten. Er hätte nicht wenig vor Wut geschäumt, wenn er das erlebt hätte. Droysen unterschlug absichtlich die diskreten, aber hinlänglich deutlichen Mitteilungen des herrlichen Präsidenten Schön, der auch in seinen Memoiren York als richtigen Streber schildert, und seine Tendenzschrift gilt bis heute als klassisch. So wird Geschichte gemacht und so geschrieben. Beide Archivforscher, die den Geist der Geschichte nach der Herren eigenem Geist auslegten, kamen zu dem Forschungsergebnis: »Dieser Bismarck ist ein politischer Abenteurer. Er hat weder ein hohes Ziel noch den Mut zum Handeln.« In der Ferne läuteten die Silvesterglocken. –
Im Abgeordnetenhause am Dönhofsplatze gab es wieder lautes Getöse. Schulze-Delitzsch stellte einen Antrag über das beliebte Thema: »Diesem Ministerium keinen Groschen«, der große Rudolf Virchow vernichtete den Dilettanten Bismarck mit wuchtigem Keulenhiebe voraussetzungsloser Wissenschaft, Professor Gneist steckte juristische Leuchten auf und warnte den König mit dem Satze, vor dem angeblich der Korse zurückbebte: »Eure Majestät wollen das Gesetz füsilieren.« Nur der Obertribunalsrat Waldeck vertrat die Ansicht, man solle sich um die Erbfolge in Schleswig-Holstein vorerst nicht kümmern. Einig waren so gut wie alle in dem erhebenden Stolze, daß 12 000 000 Taler Kriegskredit ein weggeworfenes Geld seien und, wenn nicht, jedenfalls nicht bewilligt werden dürften. Denn die Regierung ärgern, dieser hehre Vorsatz ging allen vor. Allerdings möchten wir sofort die Dänen strafen und vertreiben, aber diesen Bismarck strafen, hätte entschieden höhere vaterländische Bedeutung. »Seine verderbenschwangere Politik wird dazu führen, die Stammesbrüder wieder an Dänemark auszuliefern, wir werden daher alle uns zu Gebote stehenden Mittel anwenden, seine böse Absicht zu durchkreuzen,« predigte Schulze-Delitzsch einem Kreise bewundernder Zuhörer, hatte jener Unverschämte doch zynisch erklärt: »Lassen Sie mich Ihnen sagen, meine Herren, daß wir, wenn nötig, Krieg führen werden auch ohne Ihre Billigung.«
Daneben mußte er noch Goltz, der von Paris aus seine Weisheit umherschüttete, den Kopf waschen, daß der König nicht zwei Minister des Auswärtigen haben könne. Ging doch schon das Gericht bei den Liberalen, Goltz werde ihn ersetzen, während der alte Arnim-Boitzenburg das Präsidium übernehmen werde. Goltz' Geschreibsel war ohne Sinn und Verstand. Er sprach von Unrechtmäßigkeit des Londoner Traktates. Als ob der Wiener Kongreß nicht noch ungenierter mit Fürsten und Völkern umgesprungen wäre! Moral, Gerechtigkeit! Dann müßten alle europäischen Rechtsverbindlichkeiten, wie sie bestehen, abgeschafft werden. Goltz versicherte hochtrabend, die Bierbankbegeisterung der Deutschen imponiere in Paris und London. Otto gestand ihm ehrlich, das freue ihn, es passe in seinen Kram. »Ich bin in keiner Weise kriegsscheu, bin auch gleichgültig gegen Revolutionär und Konservativ wie gegen alle Phrasen.« Vielleicht würden noch Phrasen folgen, die zeigen, daß Krieg auch in seinem Programm liege. Wenn Goltz jetzt noch nicht versteht! Aber nein, er wird nörgeln und
Weitere Kostenlose Bücher