Bismarck 02
Kanzler stand plötzlich auf und verabschiedete sich beim Kronprinzen. Indem er Sullivan die Hand reichte sagte er mit durchbohrendem Blicke: »Erfreut, Sie kennengelernt zu haben, Mr. Sullivan. Nur erlebe ich manchmal etwas Merkwürdiges. Nachmittags lerne ich einen recht angenehmen Herrn kennen und am anderen Morgen lasse ich ihn ausweisen.«
Der biedere Yankee verstand nicht. Doch als er ins Hotel ging, fand er eine Schildwache vor seiner Tür und den Ausweisungsbefehl. Vier Tage später, am 12. Oktober, erfolgte ein anderer diplomatischer Angriff. »Angel de Valleyo, Vizepräsident der spanischen Finanzkommission in Paris, Attaché der spanischen Gesandtschaft« stand auf der Visitenkarte eines aus Paris gekommenen Individuums. Er musterte den Herrn, dessen Brust der Stern des Isabellaordens und dessen Hals das Kreuz St. Johann von Jerusalem zierte, und bat, ihn auf kurze Zeit zu entschuldigen. »Botschaftsrat Graf Hatzfeld – Leutnant Graf Bismarck, mein Neffe! Bitte sich ungeniert zu Tisch zu setzen! Viel Beleuchtung haben wir nicht, wie Sie sehen.« Nur Kerzen in leeren Weinflaschen. Hatzfeld eröffnete die Unterhaltung: »Wir werden jetzt wohl bald in Paris einziehen. Bazaine kapituliert spätestens in acht Tagen, und die Loirearmee ist bei Orleans zersprengt.«
»Dies beurteilt man in Paris ziemlich anders.« Der Spanier lächelte höflich.
»Sind die Klubs noch offen und vornehme Leute da? Die können sich sicher nicht mit der Straßenherrschaft der Demagogen vertragen.«
»Sie irren, Herr Graf. Patriotismus verwischt alle Klassenunterschiede. Auch herrscht durchaus nicht Sansculottentum. Alle sind einfach Bürger, die sich gegen den Landesfeind wenden.«
»Das machen Sie uns nicht weiß. Wie können Legitimisten, Bonapartisten, Blanquisten, reine Jakobiner und Kommunisten miteinander auskommen!«
»Es ist doch so. Das Innerpolitische zu regeln und dort Differenzen wegzuräumen verspart man für später.«
Otto kam zurück, setzte sich dem Spanier gegenüber, schellte und befahl: »Burgunder!« Der Haushofmeister brachte zwei Flaschen. Die erste, rasch geprüft, befriedigte den Kenner nicht, von der zweiten hielt er ein Glas ans Kerzenlicht: »Bravo, ein richtiger Romanée.«
»Dies Haus hat gewiß einen vollen Keller, mit dem Herr Graf zufrieden sind,« warf der Spanier hin.
»Sie irren, dieser Wein stammt aus dem Hotel des Reservoirs. Wir requirieren nichts als das Nötigste. Alles kaufe ich, meine Kinder sollen nicht über mich erröten.« Das ungläubige Lächeln des Spaniolen bestimmte ihn, den Diener nach dem Preise zu fragen, den man bezahlte. Herr de Valleyo machte große Augen. »Nun, was macht das liebe Paris? Die Hilfsmittel sind erschöpft, nur die Herren des Stadthauses hindern das Volk an sofortiger Übergabe.«
»Da sind Sie falsch berichtet. Ganz Paris ist aufs äußerste entschlossen.«
»Aus Eitelkeit, diesen einzigen festen Kern der hohlen französischen Seele. Nur ein Narr glaubt, so etwas stärke für wirkliches Leiden. Übrigens, mögen sie heroisch sein oder scheinen, wir ziehen doch bald ein.«
»Höchstens, wenn Sie bombardieren und einen Sturm wagen, was Ihnen große Opfer kosten würde.«
»Nein, wir brauchen nur Geduld und unsere zwei Verbündeten: den General Hunger und die Hexe des roten Schreckens.«
»Die Roten zittern vor der Nationalgarde der bürgerlichen Viertel. Der Hunger muß noch lange draußen warten.«
»Wenn er nur endlich einzieht! Wir werden Monate auf ihn warten, wenn nötig.«
»Und die Hilfe der Provinzen? Und die Intervention Europas?«
»Kann ich Armeen aus dem Boden stampfen? fragt ein französischer König in einem deutschen Drama von Monsieur Schillère. Frankreich hat nur noch eine Armee, die in Metz, ein ausgehungertes Skelett. Das Ausland? Wird keine Kastanien aus dem Feuer holen, hätte es aber Anlage zum Mucius Scävola, sich zu verbrennen, so werden wir uns solche Scherze verbitten.«
»In Paris hofft man viel von der Rundreise Thiers' an die europäischen Höfe.«
»Der will ja nur die Thronfolge der Orleans sichern. Die Franzosen mißbilligen solche Politik. Man will aber Trochu doch noch lieber als den Diktator Gambetta, einen Winkeladvokaten ohne Klienten.«
»Ich glaube, Sie unterschätzen diese Herrn und verkennen die Absichten des Herrn Thiers. England und Rußland sollen zur Intervention sich verständigt haben.«
»Woher wissen Sie das im zernierten Paris? Was schwatzt man dort nicht täglich im Frieden und nun gar
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