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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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wahrscheinlich durch malerische Kunstmittel. »Gefühlsausbrüche sind in Politik nicht am Platze«, schloß er trocken die Unterredung. –
    Das tobsüchtige Seinebabel bekam jetzt seine Irrenhausjacke mit stählernen Klammern. Man hätte am 19. September die Stadt mit Sturm nehmen können, die Franzosen zeigten sich entnervt und rannten in wilder Flucht bis in die Umwallung zurück, die Forts Issy und Vanves konnten nichts schaden, von der deutschen Artillerie überhöhend beherrscht, aber Moltkes peinliche Methodik verbot jede Überstürzung, die hier unter allen Umständen richtig gewesen wäre. In Versailles, wo der Kanzler und seine Leute in ein Haus der Rue de Province einzogen, wunderte sich Blumenthal: »Wie konnten Sie es übers Herz bringen, Herr Ministerpräsident, mit solch einem Demokraten zu verhandeln, der sich selbst zum Minister machte! Dem hätte ich nur erlaubt, mit meinem Bedienten zu reden.« Otto staunte seinerseits, wie selbst ein gebildeter Mann wie dieser Stratege so völlig in den Banden seiner Kaste lag. Der kleine Herr war vor Ärger ganz aufgeregt und schimpfte auf die Rasselbande von Demokraten wie jeder Krautjunker »Die Kanaille schwatzt sich in Patriotismus hinein, doch die Luft wird ihnen bald ausgehen, wenn sie immer eins auf die Nase bekommen. Heute bei der Parade stand unser Kronprinz an der Bildsäule Ludwig XIV. Das tat einem Preußenherzen wohl.« Dem deutschen Herzen Ottos auch, doch er sah Paris mit anderen Augen als ein königlich preußischer General, und fragte außerdem: »Ist unsere Zernierungslinie nicht etwas dünn?«
    »So dünn, daß der Feind an irgendeinem Punkte durchbrechen könnte, wenn er seine ganze Macht konzentriert. Die Kerle von der provisorischen Regierung verstehen ihr Metier als Organisatoren, fast 500 000 Bewaffnete sollen sie formiert haben, sogenannte Mobil- und Nationalgarden, aber vom Kriegführen verstehen sie nichts. Sie sind mit Blindheit geschlagen.«
    »Unsere Kunst besteht also jetzt darin, Paris und Metz gesondert zu belagern, hätten wir nicht die bessere Armee und ursprüngliche Übermacht, dürften wir uns dies nicht erlauben. Eine ähnliche Kriegslage war noch niemals da. Ich bin ganz konfus. Das kann ja noch endlos dauern, und wir brauchen schnellen Frieden, damit die Neutralen nicht doch noch ihr Maul aufreißen. Moltke wird ja alles wohl besser wissen, und mich schaltet man bei allen Beratungen aus, doch ich schwebe in Ängsten. Meine Zirkulardepesche, Paris verlängere verbrecherisch nutzlosen Widerstand, hatte gar keine Wirkung, weder auf Frankreich noch die Neutralen.«
    »Ach, es währt ja höchstens noch einen Monat. In Metz werden die Lebensmittel seit lange rar, Paris wird Hunger nicht vertragen.«
    »Hm! War denn gewaltsamer Angriff nicht möglich, ehe die Stadt gerüstet war?«
    Blumenthal zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich. Warum Moltke uns solchen Schneckengang vorschrieb – wir konnten schon am 12. vor Paris sein – und am 19. jedes Nachstoßen untersagte, wissen die Götter. Die Halbgötter werden dies nachher als tiefe Weisheit auslegen. Sonderbar, manchmal sind wir überkühn, manchmal übervorsichtig, was beides der verdammte Korse, der doch nun mal unser aller Meister bleibt, am meisten haßte. Ein mißglückter Sturm hätte uns viel Menschen gekostet, und so was tut mir in der Seele weh. Doch selbst Mißglücken hätte die Panik in Paris vermehrt, und wer weiß, ob wir nicht mindestens die Forts Issy und Vanves in unsere Gewalt bekommen hätten, womit das Schicksal von Paris besiegelt! Je nun, unsere Zernierung wird hoffentlich auch den Fall herbeiführen ohne Menschenverlust.«
    Doch mit riesigem Zeitverlust dachte Otto. Und dabei täuschte der gute General sich wohl, die Pariser sind zu allem fähig, wenn ihre Nationaleitelkeit, man nennt es Patriotismus, in die Schranken gerufen wird. Das wird eine lange Geschichte. Aushungerungstaktik ist immer zweifelhaft, wo es sich um einen großen Organismus handelt, der über ungewöhnliche Gesamtmittel verfügt. Die Herren kennen alle Paris nicht wie ich, der seine Augen offen hatte. Die »Hallen« strotzen von Lebensmitteln. Der Künstler Moltke legt wohl Wert darauf, daß seine pünktliche Einschließung von Paris auf allen Seiten am gleichen Tage nachher als Meisterstück in den Schulbüchern prangt. Das ist des Pudels Kern. Nicht aus persönlicher Eitelkeit, o nein, so was liegt hinter ihm in wesenlosem Scheine, sondern in majorem Generalstabiae gloriam .

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