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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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von uns! Ein Angehöriger der höchsten uralten Kulturnation, gnädigst zugelassen in den erlauchten Kreis einer Barbarenaristokratie, deren Urgroßväter sich noch von Peter dem Koloß-Barbaren die Bojarenbärte stutzen ließen! Diese zum Teil sehr gebildete, zum Teil ganz seichte und jedenfalls rein in der Luft hängende hohe Gesellschaft, unter der sich hundert Millionen Analphabeten in ihrem asiatischen Schmutz winden, bildete sich ein, den Gipfel der Vornehmheit zu bedeuten, und schaute alles Deutsche hochmütig über die Achsel an. Solch frech unziemliche Anmaßung auch der neuformierten »Intelligenz« belustigte um so mehr, als der russische Tolpatsch nur vom Deutschen gekämmt und gestriegelt wurde und die eigenen baltischen Deutschrussen lange allein die obersten Stellen im Staats- und Heeresdienst belegten. Diese Zeiten schwanden schon damals, die jüngere Aristokratie trieft von verstecktem oder offenem Deutschenhaß, weil ihr oberflächlicher Mutterwitz sich vom Pariser Kulturfirnis naturgemäß mehr angezogen fühlte als von germanischer Gründlichkeit. Die angeborene Faulheit und Liederlichkeit des Russen fühlt eine Wahlverwandtschaft mit der scheinbaren Leichtlebigkeit des Galliers, der aber daneben ein sehr fleißiger, berechnender und sparsamer Mensch ist, und im Grunde dem Slawen noch ferner steht als der Deutsche, dem doch die immerhin gemeinsame Gemütlichkeit nicht abgeht. Eine gewisse barbarisch-orientalische Gemütstiefe, die auch in religiösem Überschwang eine fremdartige Mystik ausströmt und mit Knute und Sibirien eine wollüstige Märtyrerinbrunst großzieht, verschmilzt mit einer eiskalten Beobachtungsgabe und erzeugt dann jene seltsame Pracht einer besonderen Literatur, die auf entnervte Dekadenten europäischer Blasiertheit als Offenbarung wirkt. Daß aber diese Spezialität, denn weiter ist es nichts, von den deutschen Micheln angebetet werden würde wie der Kot des Dalai-Lama, diesen Triumph russischen Barbarendünkels erlebte Otto v. Bismarck nicht mehr. Das hätte ihn wohl nicht wenig angewidert. Es machte im Gegenteil einen vorzüglichen Eindruck, daß dieser Weltmann, der wie ein Pariser die Diplomatensprache beherrschte, sich gänzlich von jener Nachäffung französischen Wesens freihielt, mit der sich Deutsche und Russen so lächerlich machen. Zum förmlichen Hausfreund der kaiserlichen Familie geworden, blieb er doch immer mit Bewußtsein deutsch in seinem ganzen Gehaben und galt so als der wahre Typus eines richtigen Deutschen.
    Sein großartiger Appetit sorgte für so guten Stoffwechsel, daß das schlechte vergiftete Blut sich auszuscheiden schien. Doch mußte er sich noch sehr schonen.
    »Gottlob, nun sind Sie wieder da!« Der Zar umarmte ihn mit ungeheuchelter Freude, und die graziöse Vornehmheit der verwitweten Zarewna strahlte von Huld. Der Kanzler Gortschakow tat auch sehr zärtlich: »Mir hat immer was gefehlt, ich wußte nicht was, bis ich merkte, Bismarck fehlt mir. Ich betrachte Sie, wenn ich mich so ausdrücken darf, als meinen Lieblingsjünger in der großen Politik.«
    »Unter solchem Meister ist man leicht gelehriger Schüler.«
    Gortschakows maßlose Eitelkeit wurde fast zu Tränen gerührt, der Russe ist viel sentimentaler als der Deutsche, der diese zweifelhafte Tugend für sich pachtet. »Alle Welt hat Sie vermißt. Schonen Sie sich nur, mein Hochverehrter, Vortrefflicher!«
    »Dazu bin ich sehr aufgelegt. Solch ein Hangen zwischen Leben und Tod besänftigt. So muß einem pensionierten Haudegen zumute sein, der alle Händel abschwört.«
    »Sagen Sie lieber wie einem strebsamen Militär, der eine gute, behagliche Kommandantur zum Ausruhen bekam. Jetzt herrscht ja allgemeine Windstille. Ruhen Sie, liebster Freund, ich werde wachen.«
    Das alte humoristische Lächeln kräuselte Ottos Mundwinkel, die schon so lange keinen Vollbart mehr trugen. Das Haar fiel ihm immer mehr aus, so daß die gewaltige Stirn klarer hervortrat. Der gute Gortschakow täuscht sich ein wenig, man kann auch die Ruhe eines Physikers haben, der allerlei spaßige Experimente mit kritischem Auge verfolgt. Dieser kalte graue Nordlandhimmel blickt nicht griesgrämiger und verdrossener auf die Isaakskirche als das Auge eines Enttäuschten, der keine Illusionen mehr hat, auf all dies nichtige Treiben. Der Ahorn färbt sich rot, und vielleicht fällt in meinem Lebensherbst noch ein blutiges Abendrot. Aber zehn gegen eins ist zu wetten, daß ich als Gesandter a. D. in Schönhausen meinen

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