Bismarck 02
Botschafter. Statt rauschender Feste gab es in der preußischen Gesandtschaft nur ein offenes Haus für gemütliche, bescheidene Gastlichkeit, bei der die geistige Unterhaltung sehr stark die leiblichen Genüsse überwog. Man fand dies très rechercheé , und eine Einladung bei Bismarcks wurde hochgeschätzt, die Mode nannte es den feinsten Ton. Daneben genoß der Preuße hohes Ansehen als oberster Zigarren- und Weinkenner. Da seine Gönnerin, die Zarin-Witwe, beide Kenntnisse nicht liebte, mußte er sich oft die Kleider mit Eau de Cologne besprengen, wofür eine vierjährige kaiserliche Enkelin, sonst enfant terrible , ihm die Liebeserklärung macht: »Du riechst gut, du bist überhaupt lieb.« Die reizende Herzogin von Leuchtenberg, nicht umsonst vom Vizekönig Eugen Beauharnais abstammend, lachte dazu mit französischer Grazie: »Kinder und Tiere kennen ihre Freunde, und das ist ein Adelsdiplom.« Alle Frauen, alt und jung, hatten ihn gern, ein schönes Zeugnis für einen Mann, hinter dem in wesenlosem Scheine jede Erotik lag. Nur die beiden fürstlichen Damen daheim blieben ihm geschworene Feindinnen, und man klaschte ihm die Äußerung der Prinzeß Royal (denn als solche fühlte sie auch als deutsche Kronprinzessin): »Ich traue ihm nicht.« – –
Bei der Monarchenzusammenkunft in Warschau kam nichts weiter heraus, als daß Otto sich mit Karl Anton von Hohenzollern beredete. Der Fürst bekannte: »Ich ziehe mich mehr und mehr zurück, gegen die Prinzessin komme ich nicht auf. Sie erhebt Einspruch gegen jede Wendung, die uns Österreich entfremden könnte. Sonst ist ja einiges besser geworden. Der König von Hannover mußte den Borries entlassen.«
»Darum wird der arme Herr nicht aufhören, die Souveränität der Welfen ›bis ans Ende aller Dinge‹ zu proklamieren. Es muß ihm ein besonderer Ärger sein, daß der hannoversche Abgeordnete Bennigsen den großen ›Nationalverein‹ gründete. Dalwigk machte sich wie gewöhnlich unnütz, höre ich?«
»Er beantragte Auflösung des Vereins vom Bundestag. Der Koburger widersetzte sich aber erfolgreich und läßt die Gothaer nach wie vor tagen, der Wille der Nation läßt sich nicht länger ungestraft verletzen.«
»Wäre es nur ein richtiger Wille! Schreitet die Heeresreform denn vorwärts? Vorerst ist noch alles in der Schwebe.«
»Doch die Stimmung im Volke ist günstig. Man macht jetzt dem Polizeidirektor Stieber den Prozeß, und das Justizministerium wird von Simons gesäubert werden, der Regent gab seine Einwilligung. Die Liberalen sind ganz für die Krone gewonnen.«
»Und bekommen dafür allzuviele Macht. Sie werden sehen, die Parlamentsmaschine wird arbeiten, um von dem neuen Armeebudget allzuviele Abstriche zu machen.« Bis tief in die Nacht besprachen beide Herren die deutsche Frage. »Offen und keck heraus mit unsern Forderungen! Sie sind zu berechtigt, als daß sie nicht wenigstens zögernde Zustimmung finden müßten. Ich selbst verspreche mir alles vom allgemeinen Erwachen des Nationalgeistes, das ist unser einziger, wahrer Bundesgenosse.«
»Das deutsche Volk? Darauf waren Sie früher nicht gut zu sprechen.«
»Zeiten des Übergangs und der Unreife auf beiden Seiten. Heut hat man die Kinderkrankheiten hinter sich. Nein, diese Kleinstaaten von Rheinbunds Gnaden können ihren Partikularismus nicht länger halten. Die gute Sache mag Rückfälle haben wie meine Krankheit, doch im ganzen gesundet sie von Jahr zu Jahr, sobald wir nur ernstlich wollen und uns nicht länger schämen, von der Leber weg zu reden, in der Presse und im Landtag, nämlich, was wir in Deutschland vollbringen wollen und was der Bund für uns ist: ein Strick um den Hals in Feindeshand, die ihn am liebsten zuziehen möchte. Diese Schlinge auf einen Ruck zu zerschneiden, muß unser einziges Bestreben sein.«
»Und wenn man dazu ein Schwert gebraucht?«
»Um so besser. Für Bleichsucht verordnet man Eisen.«
»Ei, ei, Herr Doktor, Sie sind enragiert für rabiate Pferdekuren.«
»Ich würde das Rezept gleich verschreiben, ich kenne die Ingredienzien.«
Der kluge und edelgesinnte Fürst schrak fast zurück vor dem titanischen Wesen des Mannes, den er bis dahin nur oberflächlich kannte. Doch bewunderte er die Meisterschaft, mit der dieser Gesandte jedes Dilemma objektiv behandelte und mit schneidender Logik dann zum Schlusse kam, der immer eine haarscharfe Entscheidung enthielt. Der soll und muß mein Nachfolger werden, ich werde darauf hinarbeiten! dachte er beim
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