Bismarck 02
eigenen Sarg zimmern werde. In Gottes gewaltiger Hand sind wir wie ein verschüchtertes Vögelchen, dessen Herz in Todesängsten zuckt und das sich in seinem Nestchen nur heimisch macht, um später wieder von dannen zu fliegen. Wir sind nur Wandervögel, und reisen gar bald nach jenem fernen, unbekannten Land. Und wäre der Tod kein Übergang zu einer anderen Sphäre, dann wäre dies Leben nicht das An- und Ausziehen wert.
Da eine liberalere Strömung als je seit Alexanders I. erster Zeit am Hofe wehte, rechnete man es ihm auch hoch an, daß er die neue liberale Richtung in Presse und Literatur freundlich beachtete. In Rußland galt er als der einzige wirklich liberale und gebildete fremde Diplomat. »Er ist nur etwas exzentrisch«, meinte Graf Adlerberg, ein Germanophile. »Seine grenzenlose Offenheit ist fast kindlich, nimmt aber so sehr für ihn ein. Wer hat je einen Gesandten gekannt, der unverzagt seine eigene Politik verfolgt und das eigene Gouvernement kritisiert! Er predigt überall die Notwendigkeit einer Befreiung Italiens und unterhält freundliche Beziehung zur französischen Botschaft, trotz der gespannten Lage.«
»Aber er hält sich stets in den Grenzen, die einem Gesandten auferlegt sind. In allem perfekt sind diese Manieren, immer einfach und immer distinguiert«, urteilte die geistreiche Großfürstin Helene, eine württembergische Prinzessin. »Er macht Propaganda für seine Ansichten, ohne sich aufzudrängen.«
»Ich war immer für Deutschland«, bekräftigte der alte Fürst Sjuworow. »Aber jetzt macht er uns alle in Deutsches verliebt. Eine edle Nation, der natürliche Verbündete Rußlands! Gortschakow meint, Bismarck werde bald an die Spitze der Geschäfte berufen, und dann wird er allezeit unsere Unterstützung haben.«
Genau das nämliche dachte der Pläneschmieder in Paris, dem das Herz aufging, als er den Reaktionsminister Borries in Hannover, einen Renegaten des Liberalismus, öffentlich erklären hörte: »Der gerechte Widerstand gegen die törichten Einheitsbestrebungen wird zu Separatbündnissen deutscher Fürsten und sogar zu Abkommen mit nichtdeutschen Mächten führen, die nur zu froh wären, sich einzumischen.« Doch der Sturm von Entrüstung und Hohn in Deutschland über diese landesverräterische Drohung verknüpfte allen Ernstes die Namen Bismarck und Borries. Otto sprach sich vor seinem Legationsrat v. Schloezer, einem angehenden Historiker, über diese Dinge aus.
»Ich sage Ihnen ganz offen, ich bin hier nur auf amtliche Nachrichten, ohne Kommentar, angewiesen. Man schaltet mich ganz aus.« Mit tiefer Bitterkeit fügte er hinzu: »Das dumme Federvieh gackert wieder mal über meine Verruchtheit, es liegt System darin, und das Pack merkt nicht mal, daß es sich selber schlägt, wenn es auf mich loshaut. Denn seine nationalen Aspirationen teile auch ich. Der Koburger Herzog soll auch dahinterstecken, nebst fauler Literatenranküne. Die Magdeburger und Ostpreußische Zeitung begeifern mich mal als Bonapartisten, mal als Russen. Ich hätte den Rhein abtreten wollen für Arrondierung preußischen Gebietes im Norden. So was findet natürlich in Hannover gläubige Ohren, wo die Hannoversche Zeitung ja von jeher antipreußisch inspiriert wurde, und einst sogar gegen die Ratifikation des Zollvertrag Einspruch erhob. Alte Feinde und neue Neider im Bunde!«
»Es ist natürlich nicht das geringste daran?« fragte Schloezer vorsichtig.
»Das fragen Sie noch! Ich zahle jedem jede beliebige Summe, der mir je solche französisch-russischen Zumutungen an mich nachweist. Ich trat stets dafür ein, sich auf die eigene preußische Kraft zu verlassen, soweit als irgend möglich. Die Nationalkraft des übrigen Deutschlands für eine nationale Sache aufzubieten, wäre immer noch Zeit.«
»Kennen Ihre politischen Freunde denn nicht den Ungrund der Verleumdung?«
»Ganz genau. Aber was wollen Sie! Bin ich ein Österreicher oder ein österreichisch angehauchter Reaktionär wie der Herzog von Meiningen, den die Kreuzzeitung neulich lebhaft verteidigte? Nein, ich bin nur ein preußischer verdächtiger Parteigenosse, der strafbarerweise seine eigene Meinung hat und sich nicht von Fraktionsignoranten gängeln läßt. Da muß ich mich mit der offiziösen laumatten Dementierung solcher Gerüchte durch die Elberfelder Zeitung begnügen. Es geht doch nichts über gute Freunde! Wer auf Menschen baut, der ist gar bald betrogen, und ich danke Gott für jede solche Erkenntnis, die meine Gedanken vom
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