Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
huldvolle kleine Dame sah und ihre kindlich eitlen Tagebücher las, konnte sich nicht vorstellen, daß sie eine rege Vorliebe für politische Angelegenheiten und einen angeborenen welfischen Dynastenstolz nährte. Das bewies sie, indem sie ihren eigenen Sohn, den begabten Prinzen von Wales, möglichst von den Geschäften fernhielt und ihn so zu Stutzerei und Liederlichkeit nötigte, um sich die Zeit zu vertreiben, während er ein politisches, erstrangiges Talent (nur kein Genie) im Stile Louis Napoleons in sich trug.
    »Ich habe viel von Ihnen gehört, Herr Baron«, nahm Benjamin der Große huldvoll von Ottos Dasein Kenntnis. Sein scharfgeschnittenes Gesicht trug den Stempel einer gewissen Verwüstung, die ein so langes Leben voll Salonabenteuern, Ausschweifungen eines Stutzers und Modegecken, rastlosen Intrigen und ebenso rastloser aufreibender Arbeit hinterlassen mußte. Sein Tonfall hatte etwas Geziertes, Blasiertes, Herablassendes, was nicht nach Ottos Geschmack war. »Ich täusche mich wohl nicht, wenn ich in Ihnen den künftigen Premier Ihres interessanten Staates begrüße.«
    »Das ist möglich. Ministerien wechseln oft bei uns.« »Auch bei uns.« Ein müdes, vielsagendes Lächeln. »Ja, es ist eine unsichere Sache. Wenn ich indiskret sein darf, besuchen Sie uns mit einer bestimmten Mission?«
    »Nicht im geringsten. Mich zog die Weltausstellung her.« Das gleiche diente ja als Vorwand bei seinem ersten Besuch in Paris. »Freilich, wenn ich längeren Urlaub hätte, möchte ich wohl eine Frage hier studieren, die für die allgemeine Zukunft wichtig sein kann.«
    »Und das wäre?« Disraeli, eine seltsame Mischung von Phantast und kaltem Rechner, die an Genialität gestreift haben würde, wenn sie nicht so viel von der ererbten Neigung zu Wechselreiterei und kleinen Wucherpapierche gehabt hätte, blinzelte mißtrauisch.
    »Die Lage der Arbeiter und die Bedeutung der neuen Produktiv-Assoziationen, der Trade-Unions.«
    Disraeli verlor seine Blasiertheit. Dieser dumme Deutsche schien doch von besserem Stil, als er dachte. »Daran tun Sie sehr wohl. Ich empfehle Ihnen, ohne unbescheiden zu sein, die Lektüre meines Romans ›Sybil oder die zwei Nationen‹. Da finden Sie manche Antwort.«
    Otto verbeugte sich. »Die persönliche Anwesenheit des distinguierten Autors verbietet mir, die Bewunderung zu äußern, die ich für manche Kapitel dieses Werkes empfinde.«
    »Ah, Sie lesen es.« Disraelis' Eitelkeit empfand einen wohltätigen Kitzel. Diese Sauerkrautfresser sind also doch nicht so bildungsbar, sie lesen englische Bücher, womit bekanntlich allein die Bildung anfängt. »Überhaupt, welch wunderbares Englisch Sie sprechen! Dies zu äußern verbietet mir Ihre Anwesenheit wohl nicht. Ja, die Arbeiterfrage! Wir hatten hier die Chartistenbewegung, wir hatten den Aufruhr wegen der Kornzölle. Kennen Sie Ebenezer Eliots »Kornzollreime«? Wohl nicht, sehr gute Verse. Ich bin der Meinung, daß das arbeitende Volk nur von uns Konservativen etwas zu erwarten hat. Das liberale Manchestertum der Bourgeoisie wird nichts dazu tun.«
    »Sie nehmen mir das Wort aus dem Wunde«, rief Otto lebhaft. »Was ich hier sah, hat mich angeregt. Bei uns haben wir einen sehr begabten Gründer eines deutschen Sozialismus, Ferdinand Lassalle, dessen Broschüren und Reden ich mit Aufmerksamkeit verfolge.«
    Disraeli strahlte. »Lassalle ist eine Französierung von Lazarus. Dieser junge Mann ist ein Breslauer Jude. Auch der hiesige unheimliche Herr Karl Marx, der eine sozialistische Internationale stiftet, ist Jude. Laut ihm ist das Kapital, d. h. der organisierte Kapitalismus, die Wurzel alles Übels.«
    »Das alles ist mir wohlbekannt«, sagte Otto ungeduldig. »Für mich ist von Belang, wie man diese teils richtigen, teils falschen Ideen für den Staat verwerten kann.«
    »Ah, sehr richtig. Vielleicht durch Erweiterung des allgemeinen Stimmrechts.«
    Otto warf ihm einen scharfen Blick zu. »Würden Sie eine solche Bill einbringen?«
    »Mit tausend Freuden. Es gäbe kein besseres Mittel, die Massen an die Tories zu fesseln und dem liberalen Geschwätz ein Paroli zu bieten.«
    »Das läßt sich hören. Nach meiner Erfahrung als Grundbesitzer hat nur der Adel – was Sie die Squires nennen – ein Herz für das Volk. Man muß auch den Industriearbeitern die Überzeugung beibringen, daß nur der Staat, niemals die Bourgeoisie, ihnen Erweiterung ihrer Rechte und Erleichterung ihres Loses bringen kann. Lassalle, der ein politischer Kopf zu

Weitere Kostenlose Bücher