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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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kommenden. Kein Thron auf dem Kontinent ist ein Jahreseinkommen wert. Mein Herr wünscht von mir eine neue Verfassung, doch ich möchte mit Verfassungen nichts zu tun haben, ihre Erfinder sterben daran. Statt einer Verfassung sollte man ein Vaterland machen und die zerstreuten Besitztümer in ein einziges patriotisches Besitztum sammeln.«
    »Und wie könnte das geschehen?«
    »Nur mit einem Mittel: Blut und Eisen!«
    »Mein lieber Baron, Sie entsetzen mich!«
    »Ich werde Sie noch mehr entsetzen, bis das Unvermeidliche geschah.« Die blauen Augen traten förmlich aus ihren Höhlen hervor, und Benjamin erkannte, daß dies ein gefährlicher Mensch sei. Doch er betrachtete solche unbesonnenen Verzückungen eines Verrückten mit dem gleichen Mitleid, das man dem zionistischen Autor von »Alroy« zubilligte, als er die Neugründung eines jüdischen Reiches in Palästina verkündete. Er brach ab und äußerte nachher zu Lord Ampthill: »Nehmen Sie sich vor diesem Menschen in acht! Er meint, was er spricht! Unglaublich, aber wahr! Im übrigen ist's alles der Mondschein eines deutschen Barons.«
    *
    Nachdem er doch in der Eile die englischen Minister sprach und furchtlos jede Nacht von Regentstreet nach Parkstreet eine einsame » lane « entlangschritt, wo laut Londoner Zeitungen jede Nacht die gröbsten Raubmorde vorkommen, kehrte er schon nach fünf Tagen nach Paris zurück. »Was sagen Sie zu den englischen Staatsmännern?« fragte Harry Arnim.
    »Daß sie so dumm sind wie unsere und von uns so viel wissen wie von Japan und der Mongolei. Das ist erfreulich oder nicht, je nachdem. Spielen Sie mir lieber auf dem gesandtschaftlichen Erhardt vor!« Das war schon in Paris. Harry spielte Chopins Trauermarsch! Bravo! Beerdigen wir alle Frühgeburten! –
    Paris leerte sich. Noch eine Korsofahrt in lauer Mondnacht im Boulogner Holz, und dann war es mit der Saison vorbei, alles flüchtete nach Trouville, wohin Otto auf ein paar Tage nachzukommen versprach, um später nach den Pyrenäen abzudampfen. Von allen Bekannten blieb nur einer zurück, den Otto schon als Jüngling bei seinem ersten Bummel durch Paris flüchtig gesehen hatte. Ein sehr kleiner, dicker Herr mit einem schlauen, bebrillten Eulengesicht, der weltberühmte Napoleonhistoriker Thiers. Nachdem sie sich auf einer Gesellschaft getroffen, fanden beide Herren Gefallen aneinander und verkehrten häufiger.
    »Des Kaisers Monumentalwerk über Cäsar schreitet seiner Vollendung entgegen, wenigstens schreitet es vor«, plauderte Thiers auf einem Ausflug nach St.-Germain. »Ihr ausgezeichneter Romkenner in Berlin, mein Kollege, Professor Mommsen, arbeitet daran mit und wird sicher einen hohen Grad der Ehrenlegion erhalten. Der Kaiser will damit den Urgedanken des demokratischen Cäsarismus klarlegen, daß eben eine wirkliche Demokratie einer cäsarischen Spitze bedarf, und umgekehrt ein Cäsar ohne demokratische Grundlage nicht bestehen kann.«
    »In solchem Sinne sind Rußland und die Türkei die demokratischsten Staaten«, bestätigte Otto mit leiser Ironie.
    Thiers lachte. »So ist es nun freilich nicht gemeint. In Deutschland steht man solchen Begriffen noch sehr fern, besonders in Preußen.«
    »Das kommt auf den Sehwinkel an. Vom Cäsarismus sind wir gottlob ganz frei. Cäsarenwahnsinn würde in Deutschland nur Gelächter erregen.«
    »Das bezweifle ich. Wenn ein legitimer Monarch an solchen Anfällen von Größenwahn litte, würde man es byzantinisch hinnehmen, trotz aller offenen oder geheimen Kritik. Dazu fürchten die guten Deutschen zu sehr die Obrigkeit.«
    »Die Franzosen etwa nicht?« fragte Otto pikiert. »Ich finde Polizei und Beamte viel gröber in Frankreich als bei uns. Von Demokratie vermag ich überhaupt hier nichts zu entdecken, trotzdem ja der Cäsar nicht fehlt. Ihre Doktrin läßt also die Probe vermissen.«
    Thiers rückte unruhig an seiner Brille. »Pardon, dazu kennen Sie als Ausländer zu wenig unser Naturell. Der Kaiser ist populär, weil er Gloire gibt und Glanz und für gute Geschäfte der Industrie sorgt. Doch unter der Oberfläche wühlen immer noch republikanisch-revolutionäre Elemente.«
    »Dann schon eher sozialistische. Der Franzose will die Egalité, jeder beneidet jeden, der einen besseren Rock trägt. Wie sagte doch der große Napoleon? ›Freiheit, bah, sie wissen nicht mal, was das ist.‹ Deshalb braucht der Kaiser sich vor nichts zu fürchten, solange er Orden, Ehrenstellen, Ämter zu verleihen hat und die Nationaleitelkeit

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