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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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unterwarf er teils durch Schmeichelei, teils durch die gefürchtete Bosheit seiner gewandten Zunge. Sein lebenslanger Kampf galt dem stockenglischen Gladstone (deutscher Abkunft, ursprünglich Freudenstein geheißen, wie die Fama von seinem Großvater behauptete). Letzterer stellte zwar das praktisch solide Altengland dar, ein Urtyp des liberalen Philisters mit allerlei klassischen Bildungsmätzchen, studierte Homer und fällte Bäume zur Erholung von seiner Finanzarbeit, die er sehr sachkundig betrieb. Aber Disraeli, ohne jede Kennerschaft auf praktischen Gebieten, besah eine unendlich reichere Gedankenfülle und eine unnachahmliche parlamentarische Geschicklichkeit. Seine blendende Beredsamkeit verdeckte alle Lücken seiner Sophistik, und die Großzügigkeit seiner Gesichtspunkte hatte einen poetischen Anstrich. In der trockensten, nüchternsten Körperschaft der Welt, dem House of Commons , gab er sich ungestört und siegreich seiner ausschweifenden Einbildungskraft hin. Die Literaten, die seine Romane oft verspotteten und deren Modeerfolg beim Publikum auf unliterarische Sensation zurückführten, erwehrten sich nicht geheimen Stolzes, daß einer von ihnen die Geschicke des britischen Weltreiches leitete. Auch tat man unrecht, wenn man literarische und künstlerische Maßstäbe an die zahlreichen Erzeugnisse seiner allzu fruchtbaren Feder anlegte. Diese Romane, von der Anfängersatire »Vivian Grey«, die man fälschlich Bulwer zuschrieb, bis zu seinem greisenhaften Testament »Endymion«, bedeuteten nur politische Pronunziamentos, und da läßt sich nicht leugnen, daß die bekanntesten, »Coningsby«, »Sybil«, »Tancred«, »Lothair«, eine erhebliche Kraft bekundeten, weite Perspektiven zu entrollen und oft sogar Tiefblicke in verhüllte Geheimnisse und Unterströmungen des Staatslebens zu eröffnen. Außer der katholischen Kirche, deren Problem im anglikanischen Britannien ihn schon früh (»der junge Herzog«) zugunsten der Katholikenemanzipation (Reformbill) beschäftigte, legte er es vornehmlich darauf an, das Judentum zu verherrlichen. Der Getaufte blieb Moses und den Propheten innerlich treu und verstand, mit einem aufdringlichen Stolz den Engländern einzureden, daß Israel die vornehmste und sowohl ethisch als intellektuell hochstehende Rasse und zur Weltherrschaft berufen sei. Da aus nicht zu erörternden Gründen eine Neigung am Hofe für alles Jüdische herrschte und die bekannteste Schriftstellerin G. Elliot erst recht populär wurde, als sie einen Juden heiratete und später in »Daniel Deronda« das Judentum in glänzenden Farben malte, so stand Benjamin Disraelis Emporsteigen und Herrschaft nichts im Wege. Er behielt sein orientalisches Gepräge bei und schwelgte politisch in Türkenliebe, weil er zwischen Islam und Hebräismus eine Rassenverwandtschaft fühlte. Für den Haß der Liberalen und Radikalen blieb er ein »damned Jew« , für die Aristokratie aber ein Schoßkind, bis sie ihn als Earl of Beaconsfield in ihre Mitte auch äußerlich aufnahm. Innerlich verachtete er die pompöse Beschränktheit des Tories genau so, wie den windigen Humbug der Phrasenliberalen, konnte naturgemäß auch keinerlei vaterländische Zuneigung zu einem Volk besitzen, dessen antisemitische Vorurteile er mit bitterem Groll in »Contarini Flemming« geißelte. Ihn trieb nichts als Machthunger, seinen unersättlichen Ehrgeiz und seine größenwahnsinnige Eitelkeit zu befriedigen. Damals befand er sich gerade ohne Amt als »Führer der Opposition«, doch das ganze Jungengland, den ganzen Hochadel, mit wenigen whigistischen Ausnahmen, und im geheimen auch den Hof hinter sich. Letzterer sah sich seines Fixsterns beraubt, der Prinzgemahl starb im vorigen Dezember, betrauert von ganz England, so ungezogen die hochmütige Nobility ursprünglich gegen den kleinen deutschen Duodezprinzen sein wollte. Erstens wegen seiner »Tugend«, d. h. der kühlen Korrektheit seines Benehmens, zweitens wegen seines »Patriotismus«, d. h. der nationalen Selbstsucht und Hoffart, womit er Englands Geschäfte besorgte. Hiermit sah sich die untröstliche Witwe ganz und gar dem Einfluß Disraelis überliefert, der ihren Welfenhochmut und ihre Neigung für politische Stickerei, Faden an Faden an kontinentalen Höfen spinnend, durch den von ihm erfundenen Jingo-Imperialismus kitzelte. Otto hatte beim Tod Prinz Alberts aufgeatmet: Ein Feind weniger. Aber Victoria und Disraeli blieben als nicht zu verachtende politische Faktoren. Wer die

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