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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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füttert. Dazu bedarf er allerdings einiger aggressiven Händel in Europa, denn von Solferino wird man nicht sehr lange zehren.«
    »Hm, Sie behandeln das Volk der Großen Revolution sehr kavaliermäßig«, schmollte Thiers beleidigt. »So oberflächlich darf man die vulkanische Kraft unserer großen Nation nicht abschätzen. Unsere Demokratie hat idealen Schwung, man muß ihn nur nutzbar machen. Paris, die Lichtstadt, wie Herr Viktor Hugo so schön sagt, dessen Verbannung und fortwährenden Feldzug gegen das Empire ich tief beklage, war allzeit das Heim aller Menschheitsideen, aller Märtyrer für die Sache der Freiheit. Wie großherzig nahm sich Frankreich Italiens an!« Für das Trinkgeld Nizza, dabei frondierten alle Marschälle gegen den Kaiser, weil er französisches Blut für das verachtete Makkaronivolk vergießen lasse, ohne daß man selber etwas Ansehnliches annektiere. Nach echtfranzösischer Auffassung hätte man lieber Piemont und Lombardei selber besetzen und zu einem französischen Vasallenstaat machen sollen. »Und wieviel Sympathien genießt hier noch das arme Polen! Wer weiß, ob Frankreichs Großherzigkeit nicht eines Tages dafür zu den Waffen greift! Die Unterdrückung dieser ritterlichen Sarmaten in Warschau, Krakau und ... Posen schreit ja auch gen Himmel.«
    Otto sah von oben auf den listigen Zwerg herab, der ihn aus seiner Reserve herauslocken wollte. Thiers als Nationalhistoriker trieb natürlich echte Nationalpolitik, da gehörte es zum Geschäft, immer wieder die verlogene Legende von Frankreichs aufopfernder Ritterlichkeit für fremde Völker wiederzukäuen. Als ob der aufgepflanzte sogenannte Freiheitsbaum nicht überall ein Galgen für völkische Selbständigkeit der »Befreiten« geworden wäre! Napoleons Verschlingung der Niederlande, Italiens, Deutschlands nahm nur auf, was die große Revolution längst anbahnte und mit der Tat, wenn nicht dem Namen nach, durchführte. Sich für Polen schlagen! Ja, wenn es dabei was zu rabuschern gibt! Der Franzose ist immer Geschäftsmann, wenn er nicht in seinen plötzlichen Delirien ein Sansculotte oder Eroberer wird, und selbst hierbei betreibt er das Rauben und Plündern planmäßig kühl, unter den heißesten Phrasen.
    »Die Polen«, berichtigte er ruhig, »befinden sich in Österreich sehr wohl, in Preußen bringen sie es sogar bis zur Unverschämtheit. Ich zweifle, daß ihnen mit Befreiung in Frankreichs Sinne gedient wäre. Übrigens, so geläufig sie Französisch plappern, ist ihre Art so wenig der französischen verwandt wie der deutschen. Die Verbrüderungssprüche, die ihre Emigranten hier mit den Parisern austauschen, tun es doch nicht.«
    Ein Geheimspitzel, der schon lange Zeit unauffällig um das Paar herumstrich, hörte das Wort Emigranten und wollte schon diktatorisch die Personalien feststellen. Glücklicherweise erkannte er in Thiers, der wie jeder wahre französische Demokrat sein Kommandeurkreuz der Ehrenlegion auf der Straße trug, un monsieur très décorè , und dazu noch daneben den in Paris wohlbekannten langen Preußen. Aus so exterritorialen Gewässern ruderte er eiligst fort. Jeden Bürger des Empire und somit Inhaber der Volkssouveränität hätte er ohne weiteres vor den Polizeipräfekten zitiert, um sich wegen verdächtiger Gespräche zu verantworten, die jeder Mouchard auf seinen Amtsmeineid zu nehmen die staatstreue Pflicht hatte. Dann verschwand ein solcher Verdächtiger nach Sibirien – pardon, Cayenne – und seine Familie hörte nichts mehr von ihm. Dies war der demokratische Cäsarismus im Lande der sogenannten Großen Revolution.
    »Kennen Sie unser Temperament so genau?« fragte Thiers spitz. »Nun, was fällt Ihnen am meisten am Franzosen auf?«
    »Seine Ungeselligkeit. Es herrscht ein Kastenwesen, ein konventioneller Formalismus, von dem man sich in Deutschland nichts träumen läßt. Jeder hat ein Grauen davor, irgendwo anzustoßen oder seiner Würde etwas zu vergeben, alle Welt schwatzt daher nur über Nichtigkeiten und bleibt einander fremd. Schlägt jemand einen vertrauten Ton an, so glaubt der Franzose, man wolle ihn anpumpen, bei ihm hineinheiraten oder seine Frau verführen. Von Natur hat er ja eine ungebundene, lose Zunge, aber an der Table d'hôte sitzt er wie ein Trappist. Denn er könnte ja für weniger angesehen werden, als er gern sein möchte.«
    »Die Deutschen sind aber laut und lärmend«, rief Thiers ärgerlich.
    »Deutsche von guter Erziehung kaum. Jedenfalls ist diese Lautheit ein

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