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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Figur, entwarf, von schreiender Unähnlichkeit. Disraeli selbst hatte sein Leben lang den Dichterlord nachzuäffen gesucht, in der Jugend als Dandy sogar dessen äußere Erscheinung, was ihm glänzend mißlang. Otto fand hier im Kasino einen von Engländern liegen gelassenen zerlesenen Roman Disraelis, »Venetia«, worin Byrons und Shelleys Leben unter Anlehnung an Byrons wunderbare Elegie »Der Traum« kreuz und quer verwirrt und unter Umdrehung aller Verhältnisse zu einem sensationellen Familienromänchen zusammengepantscht war. Wie drollig, die Wirklichkeit romantischer färben zu wollen! Byrons wirkliches Leben hatte ja zehnmal mehr Anziehungskraft als jede fälschende Ausschmückung wie hier, wo Dichtung und Wahrheit zu unkenntlichem Knäuel verschlungen.
    Ach Gott, wie lange lag die Zeit jugendlichen Weltschmerzes hinter ihm, wo er sich an Byron berauschte! Er selbst hatte ja auch sein vollgerüttelt Maß tragischer Privaterlebnisse hinter sich, aber er durfte sich ehrlich sagen, daß er nun zwölf Jahre lang sich nur einer Sache und öffentlichem Dienst gewidmet und sein Privatleben daneben als untergeordnet betrachtet habe. Hier aber schien er sich wieder ein junger Romantiker geworden. Er übte sich wieder recht byronisch im Pistolenschießen und dachte an die Heimat nur, wenn er sich Johanna und die Kinder im lieben Reinfeld vorstellte. Briefe liefen ihm auf verschiedenen Postämtern nach, Zeitungen verbat er sich, die ganze verdammte Politik zu vergessen. Und das gelang ihm wirklich. War es nicht eine Romantik der Schicksalsfügung, daß er hier unter Aloe und Tamarinde, frische Feigen und Mandeln schmausend, lustwandelte, indes fern im grauen trüben Norden vielleicht um ein Los von vaterländischen Geschicken gewürfelt wurde? Ach, wenn es nur immer so bliebe! Vielleicht ein Abschied für immer von allem künstlerischen Schönheits- und Naturgenuß. Warum konnte er nicht malen, um diese reizende Landschaft im Bilde abzufangen? Dann blieb ihm doch ein Andenken an diese Romantik des Zufalls.
    Er entging nicht dem unvermeidlichen Wiedersehen mit Russen. Wozu ihn an diese mehrjährige Episode erinnern, die nun auch wohl für immer hinter ihm lag! Fürst Orlow und seine heitere Gemahlin. »Werden Sie nicht nach Paris zurück müssen, mein Freund? Am 15. August ist Napoleonstag, wo man den Kaiser beglückwünscht und sein Diner zu sich nimmt.«
    »Er ist zu vernünftig, mich zu vermissen. Unter den Heiligen im Kalender würde ich mir auch nicht diesen aussuchen, um vor seiner Reliquie zu beten.«
    »Die Reliquie ist aber heut recht ansehnlich«, lachte Frau v. Orlow. »Das ganze zweite Empire.«
    »Reliquien sind zerbrechlich. Und wenn man sie unsanft behandelt, zerspringt das Glasgehäuse. Der erste Napoleon war gewiß ein sehr großer Mann für seine Zeit, meinethalben für alle Zeiten. Aber auf den balsamiertesten Leichnam einen Thron aufbauen, verträgt selbst nicht der Porphyrsarg im Dom der Invaliden. Die Mumien der Pharaonen werden nicht mehr lebendig.«
    »Ach, lassen wir den langweiligen alten Napoleon!« Die lustige Orlow klatschte in die Hände. »Das Meer ist grün und weiß, der Wind warm und weich, wir selbst sind ganz Sonne, Luft und Seewasser. Was kann man vom Leben mehr erwarten!«
    »C'est vrai, m'amie!« Fürst Orlow schenkte Sekt ein. »Napoleon I. wird wohl auch hier spaziert haben, in Bayonne war er oft, doch er sah vermutlich weder Meer noch Land, sondern nur die Trugbilder seiner Ländergier. Hier hat er den Überfall auf Spanien geplant.«
    »Das würde ich ihm nicht übelnehmen,« sagte Otto nachdrücklich, »wenn es nur zu einem richtigen vaterländischen Zweck geschehen wäre. Doch was hatte Frankreich davon!«
    »Hm, Durchführung der Kontinentalsperre? Und Ludwigs XIV. Wort: ›Es gibt keine Pyrenäen mehr‹?«
    »Da haben Sie recht.« Ottos Stirn furchte sich. »Im Grunde hat Napoleon nur ausgeführt, was Frankreich von jeher wollte. War es nicht schon Rheinbund, als Bayern für Ludwig XIV. stritt? Und wollte nicht selbst der elende Louis Quinze das linke Rheinufer? So haben sie an uns herumgebissen seit Jahrhunderten, und ein Stück der Pastete, Elsaß und Lothringen, haben sie noch heut zwischen den Zähnen.«
    »Viel mehr, sie haben es mit Appetit verdaut. Eher fällt der Himmel ein, als daß Frankreich je wieder das linke Rheinufer verliert.«
    »Ich nehme euch den Sekt fort, wenn ihr noch länger Fach simpelt!« rief die Fürstin. »Hier sind Pfirsiche und Muskattrauben,

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