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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Zeichen von unbekümmertem, gutem Gewissen und Gleichgültigkeit gegen konventionelle Fesseln.« Unhöflicher zu werden wäre taktlos gewesen, er brach also ab. Da er den Franzosenfreund politisch herauskehren mußte, durfte er nicht so unklug sein, sein schlechtes Herz zu verraten, daß er die Franzosen nicht ausstehen konnte. Er ging in seiner Abneigung sogar zu weit und übertrieb noch die Leere und eitle Gimpelhaftigkeit der französischen Seele. Grattez le Russe et vous trouverez le Tartare! läßt sich hier umsetzen: Grattez le Francais et vous trouverez le Gaulois! Otto aber meinte, daß man, wenn man das bißchen Kulturschminke abkratze, beim Franzosen rein gar nichts mehr finde. –
    In Trouville langweilte er sich derart über die internationale Klatschgesellschaft, daß er nach Blois abdampfte, um die altfranzösischen Schlösser, wie Chambord und Chenonceaux, zu besuchen. Von Loches, dem Schloß Ludwigs XI. mit den Oubliettes und Gefangenenkäfigen, und anderen Kleinodien der Touraine hatte er wohl nicht gehört. Immerhin kennzeichnete es, daß sein künstlerischer Sinn ihn trieb, diese weit von der gewöhnlichen Heerstraße abgelegenen Architekturschätze aufzusuchen. In der Provinz fiel ihm noch mehr die bäuerische Ungeschliffenheit auf, und er fand den guten Ton der Ackerbürger von Rummelsdorf und Schlave dagegen hervorragend. Die Offiziere im Café rasselten mit den Säbeln und gafften jedes Frauenzimmer so frech mit unanständigen Zoten an, daß er dachte: dies Heer von Troupiers ist an sich sehr gut, der Franzose hat eben angeborene kriegerische Eigenschaften, die ihn immer zu einem gefährlichen Gegner machen, aber wie soll man da moralische Kraft erwarten! Physische Bravour wohl glänzend, Routine und Geschicklichkeit gut, aber geistige Regsamkeit Null, Charakter liederlich. Ohne Napoleons Genie hätten die Französchen doch nur ein Roßbach von uns erlebt. Und Napoleon war ein Italiener. Marschall Niel und General Trochu sollen ja in Broschüren das preußische Volksheer als Muster empfohlen haben, doch damit werden sie bei dieser nur dem Wohlleben ergebenen Bevölkerung nicht durchdringen. Den preußischen Leutnant können sie uns am wenigsten nachmachen. O verlogene Welt! Unsere höflichen, ruhigen, wissenschaftlich gebildeten und in gewissem Sinne auch bescheidenen, nirgendwo überheblich auftretenden Offiziere werden überall als Bramarbasse verschrien. Und nicht mal die Junker von 1806 sind so arg gewesen, wie man sie malt. In Rußland, Österreich, bei den englischen Soldknechten wird der Gemeine viel menschenunwürdiger behandelt, und dies fränkische Prätorianerheer läßt es in Friedenszeiten an Brutalität nicht fehlen. Und doch heult man nirgends über Soldateska und Militarismus wie gerade bei uns. Diese aller guten Manieren baren, sträflich unwissenden, tatsächlich nur halbzivilisierten Franzosen gelten als Spiegel feiner Sitte und chevaleresker Ehre und würden uns sicher als Barbaren und Hunnen anpöbeln, wenn sie mit uns in Kampf gerieten. Daß sie das tun, ist bei einem so ungebildeten Pöbelvolk von Analphabeten unten und geistigen Analphabeten oben, die innerhalb ihrer chinesischen Mauer noch nicht das Abc humaner Weltbildung lernten, gewiß nicht verwunderlich. Aber daß die übrige Welt ihnen ihr kindisches Geschwätz und ihre aus angeborener Lügenhaftigkeit stammenden Schauermärchen noch obendrein glauben würde, das läßt auf einen Tiefstand der Bildung schließen, den ein simpler Deutscher sich nicht zurechtlegen kann. Stehen wir denn wirklich so hoch über allen anderen, haben wir allein Kultur von oben bis unten, an Haupt und Gliedern? O du armes, demütiges deutsches Aschenbrödel, wann wirst du als verwunschene Prinzessin erlöst werden und dastehen in deiner Macht und Herrlichkeit?
    Gedanken an Dornröschen mochten ihm wohl kommen in der unendlichen Verlassenheit des Königsschlosses Chambord, wo er sich mit den Schwalben als den einzigen lebenden Wesen unterhielt. »Für Spatzen ist es zu einsam«, schrieb er mit prachtvoller Anschaulichkeit an Nanne und legte ein violett-purpurnes Heidekraut bei, das er pflückte. Er liebte diese Pflanze, wie alles, was einsam in freier Natur. Über den Türmen und hohen spitzen Schieferdächern der Schlösser, an denen er mit der Bahn südwärts nach Bordeaux rollte, flammte plötzlich ein breites Wetterleuchten. War es unheimlich gleißende Antwort des Himmels auf seine Frag«: Wann, o wann?

Nun saß er schon in Bayonne,

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