Bismarck 02
daß er nicht stillsitzen darf, sondern sein neugierig neuerungssüchtiges Völkchen durchaus mit Haupt- und Staatsaktionen füttern muß. Schlägt es diesmal fehl, so wird er wo anders sein Glück versuchen.«
Die Orlow lachte. »Ich denke, ›das Kaiserreich ist der Frieden‹? Lasen Sie in Bordeaux die Inschrift auf der Marmortafel vor dem Börsengebäude?«
»Ich las sie mit sehr gemischten Gefühlen.«
»Und diese Annäherung von Frankreich und Österreich! Zu guter Letzt soll als Kaiser Maximilian von Mexiko ein Erzherzog eingesetzt werden. Es wird wohl noch lange dauern, doch geheime Verhandlungen schweben.«
»Da seien Sie nur ganz ruhig. Daß Napoleon das Schwert zückt, um als Verfechter des Monarchischen die mexikanischen Demokraten zu züchtigen, ist die übliche Verbrämung, worin Franzosen und Briten Meister sind. Natürlich werden die Dummen ihm glauben. Aber daß er für Maximilian nicht den kleinen Finger rührt, dessen seien Sie sicher. Der wird gerade Geld und Soldaten ausgeben, um einem anderen als sich selbst zu nutzen!« –
Er konnte sich nicht genug tun im täglichen Aufzeichnen der Landschaftsbilder für Nanne, in seinen Briefen schwang er den Stift als Wortmaler. Dazwischen neckte er sie mit seiner Passion für die liebenswürdige Kathy Orlow, die ihm alle Tage Mendelssohn vorspielte, bis seine Gedanken »auf Flügeln des Gesanges« über die Sturzwellen in die blaue Unendlichkeit fortschwebten. Die blaßbläuliche Wand der zackigen Pyrenäen, Reihen von Gipfeln übereinander, stand abends in rötlichem Feuer, bis sie in schwarzer Einsamkeit in Nacht erstarben. Felsinselchen, von donnernder, sonnenblitzender Flut übergossen, verschwammen mit dem Weltmeer wie die ferne spanische Küste. Er fühlte sich wie auf umspülter, menschenentrückter Insel eines Robinson Crusoe. Wie nichtig versinkt der Trubel der Städte und des Staatsgetriebes, wenn der Mensch allein der Schöpfung gegenübersteht!
Die Orlow als große Dame machte gar keine Toilette, während die Französinnen und Spanierinnen im Kasino für nichts als Putz, Fächerschlagen, Kokettieren, Medisieren Sinn hatten und ihre Herren dem Naturgenuß nicht eine Minute schenkten, für all die Schönheit keinen Blick hatten. Wie tief steht doch der gepriesene Romane unter den Germanen und an Gemüt auch unter den Slawen! Bei diesen Lateinern, wie sie sich nennen, obschon sie alle keinen Tropfen römischen oder hellenischen Blutes im Leibe haben, ist alles öde Konventionalität, Äußerlichkeit, Gesellschaftsschwatz.
Das Idyll ging nun zu Ende, er brach mit Orlows nach den Pyrenäen auf, wo sie den Pic du Midi bestiegen. Wenn er auf solchen Höhen stand, dachte Otto an die Parabel der Schrift: Und Satan führte Jesus auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt, »das alles ist dein, wenn du niederfällst und mich anbetest«. Wahrlich, ich würde auch meine innere Gesundheit, mein Seelenheil, nicht darangeben für alle Reiche der Welt. Aber wenn es nun meine Bestimmung wäre, ein Reich zu gründen, das sehr von dieser Welt?
Oben in der Alphütte lasen sie zusammen Byron, »das einzige Buch, was mit ist«, damals hatten die Menschen noch solche Bedürfnisse. Wenn man Otto und diesem vornehmen Russen prophezeit hätte, es würde eine Zeit kommen, wo man einen der Größten aller Zeiten, den Goethe neben sich und fast neben Shakespeare stellte, zum alten Eisen werfen, als Rhetoriker abtun und ihn mit Heine in die literarhistorische Rumpelkammer sperren würde, dann hätte er verächtlich die Achseln gezuckt. Sie sind wohl vollständig verrückt! Und wenn man ihm prophezeit hätte, er selbst werde eine solche Ära unwissentlich heraufführen, wo nur Ziffern und Säbel regieren und artistischer Modetand, und er selbst werde gar nichts mehr lesen als die faulste Erholungsliteratur und deshalb allen Banausen als wahrer Gottseibeiuns nüchterner Prosa gelten, dann hätte er gelacht über solche Unmöglichkeiten. O Mensch, du Spielball der Umstände, du lebst im Schein und wirst so selber Schein, bis niemand mehr dein wahres Sein erkennt!...
Frau v. Orlow las den Aufschrei Kains vor, im Flug durch den unermeßlichen Raum:
O unbegreiflich hehrer Äther du!
Ihr Massen, ihr vervielfachten, der Lichter,
Sich immer neu entzündend und entzündet!
Wer seid ihr? Was ist diese blaue Wildnis
Des grenzenlosen Abgrunds, wo ihr hinrollt
Wie Blätter auf den klaren Wassern Edens?
Ist eure Bahn euch zugemessen? schweift ihr
Dahin in
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