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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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unausrottbare Wahrheitsliebe mehr oder minder bei anderen voraussetzen. Denn bei aller angeblichen Menschenverachtung und auch im einzelnen richtigen Menschenkenntnis glaubt der geniale Mensch doch immer, daß er im Grunde zur gleichen Menschenrasse gehöre und daher seine geistige und moralische Größe bei andern ein natürliches Echo erwecke. Das stimmt aber nicht, denn das Genie ist eine Rasse für sich. Nicht ein Übermensch, denn so etwas gibt es nicht, aber ein Vollmensch in seiner sonstigen Lebenshaltung, und in einem verborgenen Teil seines Ich ein Fremdling jenseits des Allzumenschlichen. Ja, auch dieser Teil schlummert in jedem Sterblichen, doch nur im Unterbewußtsein, und um in ihm das Verständnis für den Genialen hervorzulocken, bedarf es gewaltiger Hammerschläge. Wär' nicht in uns des Gottes eigene Kraft, wie könnt' uns Göttliches entzücken ... wäre nicht in der ganzen Menschheit etwas Geniales, so könnte das Geniale überhaupt nie verstanden werden. Aber es wird verstanden, zuerst von wenigen oder gar nicht, dann von vielen, zuletzt von allen.
    Man darf ruhig sagen, daß Otto nur einen einzigen hingebenden Bewunderer hatte: seine eigene Frau. Das ist öfter so, denn die Frau mit ihrem ohnehin feineren Instinkt weiß ja auch viel mehr von ihrem Manne als die Außenwelt. Nichts ist bedeutungsvoller für die wahre Erkennung des unseligen Marquis de Sade, des großen Revolutionärs und dämonischen Abgrundforschers, als daß seine Frau mit unbegrenzter Hingebung an ihm hing. Sie wird wohl gewußt haben, warum. Es ist eine Fälschung, zu behaupten, irgendwer habe den Schöpfer des neuen Deutschland erkannt, ehe die bewußten Hammerschläge ertönten und gleichsam eine Stimme vom Himmel sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Nur einer kam am allerfrühesten zu dieser Erkenntnis des Genialen, und wer den Genialen zuerst erkennt, muß unbewußt etwas Geniales in sich tragen. Wer dieser glorreiche Mensch war, das ahnte Otto bald. Doch selbst er hatte nicht Seelenkunde genug, um zu ermessen, welche hochgemute Tapferkeit in einem ernsten Greise verborgen lag, der sein Leben lang im Schatten stand, bis die Blitze des Geniegewitters ihn beleuchteten und die Schönheit seines seelischen Profils für alle Welt sichtbar machten. –
    Als die Budgetkommission sich verlief, stand sie anfangs unter der dämonischen Hypnose. Die einen schwiegen, die andern brummten, einige zeigten ein beifälliges Schmunzeln, als wollten sie sagen: Violà un homme! Aber als die Herrschaften vom kahlen Dönhofsplatz in die belebte Leipziger Straße einbogen, wirkte der Anblick des lärmenden Berlin auf sie ermutigend. Den eingebildeten Schwaflern, denen das Herz schon leise in die Hosen fiel, wuchs der Mannesstolz vor Geniethronen. Und als sie erst in der Weinstube bei Beckerath saßen, da floß ihnen der lieblichste Geifer von der Lippe.
    »Hehe, der eigentliche staatsrechtliche Standpunkt wäre also mit wenig Worten abgemacht, sowas ist für unsern Herrn v. Bismarck entschieden zu trocken, zu positiv.«
    »Wie schade, daß kein Stenograph da war, um ein getreues Bild dieses überraschenden Vortrags dem ganzen Lande darzureichen!«
    »Hehe, ein Kaleidoskop! Fremdwörter werden wohl erlaubt sein nach der ›Kakophonie‹!« Allgemeines Gelächter. »Diese Verschmelzung der heterogensten Dinge ging an unserem fassungslosen Blick vorüber, das Auge konnte dem raschen Wechsel kaum folgen.«
    »Offenbar verstehen wir nicht den höheren Flug, zu dem sich dieser Bahnbrecher alsbald erhob.« Ironisches Bravo und Leertrinken der Gläser.
    »Na, überraschend war es gewiß! Geist bei preußischen Ministern, wer ist an so was gewöhnt! Und hier sprudelte es man so.«
    »Jawohl, aber wenn Sie bei ruhiger Überlegung den Nachgeschmack auf der Zunge kosten, was ist's dann? Höchstens Sodawasser.«
    »Ich für mein Teil war bald dieser Überrumpelung überdrüssig. Je länger er uns mit seinem Geplauder anrempelte, desto inniger sehnte man sich nach der ruhigen Sachlichkeit, mit der gerade unsere Budgetkommission über dem Wohl des Staates wachte.«
    »Wie der Mensch mit Fremdwörtern seine Rede spickt! Ein Zeichen von Halbbildung!«
    »Diplomaten zieren ihren Stil damit.«
    »Der ein Diplomat! Hat man je erlebt, daß ein Staatsmann so von der Leber weg schwatzte? Nein, über diesen sogenannten Politiker kann nur eine Stimme sein.«
    »Hat er auch nur einen einzigen positiven Vorschlag angedeutet, um den Konflikt zu

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