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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Erweitung unserer Macht. Hannover hatte Napoleon uns schon angeboten und geschenkt, er hätte uns noch viel mehr gegeben, denn ursprünglich wollte er uns wohl, um uns als Pufferstaat gegen Rußland zu konsolidieren. Hätte unser Heer 1805 in Thüringen und Franken gestanden statt 1806, die Landkarte sähe heut anders aus. Das eben ist der Fluch einer falschen Politik, daß sie zwischen zaghaftem Zögern und überstürztem Losschlagen hin und her pendelt. Was dann kam, übergehe ich. Nur Österreich und England haben wir's zu verdanken, daß wir nach Niederwerfung Napoleons nicht den verdienten vollen Lohn erhielten. Historisch Gebildete unter Ihnen, wie Herr Professor Sybel, werden wissen, was Preußen vor allem damals verlangte, Angliederung eines norddeutschen Rheinbundstaates, der landesverräterisch bis zuletzt am ›erhabenen Protektor‹ festhielt.«
    »Sachsen«, murmelte Sybel.
    »Wir hätten auch das sogenannte Königreich Westfalen erhalten sollen. Nun, damals ging das Gespenst der Legitimität um.« Großes Erstaunen bei vielen Anwesenden. »Wir wollen hier darüber nicht reden. Rußland unterstützte uns damals bis zu einem gewissen Grade, und man begreift, daß sich bei Friedrich Wilhelm III. ein Fond von Dankbarkeit ansammelte. Aber Zar Nikolaus hatte nicht mehr das gleiche Wohlwollen. Wir haben ihm stets durch dick und dünn geholfen, beim Frieden von Adrianopel hätten wir für unsere freundliche Gesinnung etwas herausschlagen müssen. Dabei blieb uns nicht unbekannt, daß der Zar mit Karl X., dem Bourbonen, gegen uns intrigierte. 1830, nach der Julirevolution, wo es in Europa sengerig aussah, nur nicht bei uns, hätten wir erneut uns hervorwagen können. Wir waren damals an Schlagfertigkeit trotz des schwerfälligen Landwehrsystems allen weit überlegen. Aber nichts geschah, um die deutsche Frage zu lösen. Was von da an folgte bis heut, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Wir sagten immer Ja und Amen, beugten uns vor jedermann, wo wir es gar nicht nötig hatten. Mit verzweifelter Mühe verhinderten einige Patrioten, daß wir nicht noch in den Krimkrieg und den italienischen verwickelt wurden, wo wir nichts für uns zu holen hatten, es sei denn auf antiösterreichischer Seite. Unter uns, das billige ich auch, daß wir nicht neulich uns Österreichs Bedrängnis zunutze machten. Die Stimmung des deutschen Volkes war dagegen, und das ist für unsere deutsche Politik maßgebend.«
    Hier räusperten sich viele. Fällt der Himmel ein? Dieser Junker schwärmt vom deutschen Volk? Auf manche machte die freie Aussprache immerhin ersichtlichen Eindruck. Er fuhr fort, die Sätze heftig hervorstoßend:
    »Da konnten Sie aber am besten sehen, wie Österreich es mit uns hält. Es hat sich über unsern Kopf weg mit Frankreich verständigt, nur um uns keine Konzessionen zu machen. Wir haben Napoleon ganz umsonst verschnupft. Doch ich lege Ihnen nochmals ans Herz: Preußens Grenzen, wie der Wiener Kongreß sie nicht ohne böse Nebenabsicht schuf, sind ein Widerspruch zu einem gesunden Staatskörper. Mehr darf und möchte ich darüber nicht sagen. Sie behandeln die Heeresreform wie eine Frage der inneren Politik, vom Parteistandpunkt. Doch so viele Parteien wir zählen mögen, wir sind doch alle gute Preußen und lieben unser Vaterland. Bei der letzten Mobilmachung stellten sich große Schäden heraus, sie müssen ausgemerzt und die allgemeine Wehrpflicht, fürwahr ein demokratisches Prinzip, erweitert werden. Das macht uns niemand nach. Bedenken Sie, daß wir das einzige Land der Welt sind, das eine solche altrömische Wehrverfassung hat.«
    »Eine solch« Bürde!« murmelte ein Links-Ultra.
    »Gut, wenn es eine Bürde ist, so wollen wir wenigstens etwas für unsere Opfer haben. Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das war der Fehler von 1848 –, sondern durch Blut und Eisen .«
    Ein elektrischer Schlag ging durch die Versammlung. Eine so offene, so kühne Sprache hatte man von einem Minister noch nie gehört. Was war dies für ein sonderbarer Mensch, der da vor ihnen stand? Viele glaubten ihn doch zu kennen von früher her, doch sie kannten ihn offenbar nicht. Hat man uns den Junker umgetauscht, den wir wie einen hölzernen Türkenkopf in der Fechtschule gebrauchten, um auf ihn loszuklopfen?
    *
    Otto glaubte gesiegt zu haben und ging freudestrahlend davon. Der alte Irrtum der Genialen, daß sie ihren idealen Schwung und ihre reale Einsicht und ihre

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