Bismarck 02
darf Sie wohl auf die Praxis der letzten zwölf Jahre hinweisen.«
»Sie über preußisches Verfassungsrecht zu hören, Herr Minister, ist wirklich belehrend«, begann Waldeck. »Der Artikel besagt ganz klar, daß Einnahmen und Ausgaben des Staates im voraus veranschlagt und auf den Etat gebracht werden müssen, und dieser Etat sei jährlich durch ein Gesetz festzustellen. Das war bisher allen gesunden Menschen, Ministern wie Abgeordneten so unzweideutig klar, daß alle darin eine unantastbare Bürgschaft für das Recht der Landesvertretung fanden auf jährliche vorgängige Festlegung des Etats.«
»Da mußte ich Sie eben eines Bessern belehren.« Otto lächelte verbindlich. Wie sagt doch Kleists Hermann? Was kann er sagen, was ich nicht schon weiß! Im gedrängt-vollen Sitzungszimmer wehte eine ziemlich gewitterschwangere Luft, was ihn aber wenig bedrückte.
»Sie vindizieren der Krone Rechte, die ihr nicht zukommen, die nicht in der Verfassung stehen«, belehrte ihn der Historiker Professor Sybel. »Das ist eine verwegene Interpretation, Herr Minister. Und dann reden Sie von gegenseitiger Schonung!«
»Das tue ich.« Und er sprudelte los, fließend, obwohl stoßweise und abgebrochen: »Die große individuelle Unabhängigkeit des deutschen Charakters macht es schwer, mit einer Verfassung zu regieren. Für die Franzosen paßt dies, weil sie überhaupt keine Individualität haben und lauter Schablonenmenschen sind. Despotismus oder Verfassungsschema, sie schlucken alles runter. Wir stehen gottlob höher, bei uns gedeiht nichts Hammelherdenhaftes. Doch ebensowenig wie wir einen Despotismus dulden, ebensowenig können wir uns auf das Prokrustesbett einer Verfassung schnallen, wo alles über einen Leisten geschlagen wird. Davon müssen wir uns deraillieren. Wir sind zu hoch gebildet und deshalb zu kritisch. Die öffentliche Meinung wechselt, die Presse hat nur ein fiktives Mandat und vertritt keineswegs die allgemeine Meinung. Sie werden wohl selber wissen, was die Presse ist. Wir haben zu viel Leute, die ihren Beruf verfehlten, zu viel katilinarische Existenzen, die ein Interesse an sozialen Umwälzungen haben. Aber eine starke Regierung darf so etwas nicht indulgieren, in solche Kakophonie blasen wir mit Pauken und Trompeten hinein, mit dem guten alten preußischen Avanciermarsch.«
»Jetzt Ist er beim Avancieren!« »Indulgieren, Deraillieren, Kakophonie, die unnützesten Fremdwörter!« murmelten die verschiedenen Leuchten der Wissenschaft.
»Meine Herren, ein unnützer Konflikt legt die Regierung lahm. Wozu das! Wir sind doch alle Kinder einer Mutter. Denken Sie an Preußens Lage und an seine Bestimmung. Wir sind ein wenig zu hitzig und eitel. Preußen hat die Vorliebe, eine zu starke Rüstung für einen langgestreckten, schmalen Leib zu tragen, deshalb muß eben der Leib besser ausgebaut und verbreitert werden. Wir müssen unsere Rüstung zu nützen verstehen. Diese Rüstung, zu Deutschlands Sicherheit nötig, wollen wir nicht länger allein tragen, sie muß auf alle Deutschen ausgedehnt werden. Dies Ziel wird kein Nationalverein erreichen, sondern der König von Preußen, wenn man ihm das größte Eisengewicht verleiht, auf daß er es in die geschichtliche Wagschale werfe. Nicht auf Preußens Liberalismus sieht und baut Deutschland, sondern auf Preußens Macht. Die Mittelstaaten mögen dem Liberalismus huldigen, darum wird ihnen doch niemand Preußens Rolle anweisen. Wir müssen unsere Kraft vermehrt zusammenhalten für den günstigen Augenblick, der schon oft verpaßt ist. Ich stehe nicht an, zu erklären, daß wir seit dem Tode des großen Königs lauter Fehler machten. Wieviel verpaßte Gelegenheiten! Da war die Reichenbacher Konvention, wo Friedrich Wilhelm II. zwischen den Ostmächten den Schiedsrichter spielte und sie an neuen Territorialerwerbungen im Osten hinderte. Wozu denn? Je mehr Rußland und Österreich sich im Osten ausdehnen, desto besser für uns. Wir haben keinen Grund, über die Türkei unsern Schild zu halten. Im Gegenteil mußte man den Ostmächten freie Hand lassen, aber dafür Kompensationen in Deutschland verlangen. Dann die Einmischung in Holland, nur um uns wichtig zu tun, ohne jeden materiellen Gewinn. Den Frieden von Basel tadele ich nicht, wir hatten kein Interesse daran, uns mit Frankreich für Österreich zu schlagen. Dann aber mußten wir nachher, als Napoleons Annexionen sich wie ein reißender Strom fortsetzten, um so energischer auftreten, nicht für Österreich, aber zur
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