Bismarck 03
vielleicht glaubten sie nicht mal mehr an die früheren Siege der anderen Heere. Genau das Gleiche geschah in der Marneschlacht, wo jede überall siegreiche Armee wegen Rückzugsbefehl an irgendwelche schwere Niederlage der Nachbarn glaubte und Jeder nachher dem Anderen die Schuld zuschoben, er sei zuerst gewichen. Doch Keiner war gewichen, am wenigsten die siegreichen Sachsen, gegen die nachher alberne Fama stichelte; nur zwei Armeeführern rissen die Nerven. An dieser grauenvollen Eselei trug freilich Moltke nicht die Schuld, wie man verleumdet, doch Mißtrauen schlich sich ein; der gesunde Heerinstinkt spürt, daß es bei der höchsten Führung hapere. Der gleichfalls unentschuldbare Rückzug an der Meurthe fällt in ein anderes Gebiet der höchsten Strategie, und man kann billigerweise dem armen Moltke nicht vorwerfen, daß er geistig und charakterologisch nicht zum Feldherrn solcher Massen taugte. Der auf der Kriegsakademie geschulte Militär kam gemeinhin mit ein paar Phrasen der älteren Moltkeschule aus, sah alles Heil in doppelseitiger Umfassung wie bei Schlieffens »Cannä« (als ob wir etwas Authentisches von Cannä wüßten!), die theoretisch kriegshistorische Durchbildung war sehr vernachlässigt und nur die allergründlichste kann das Wesen der wahren Kriegskunst durchschauen. Strategie erlernen läßt sich aber nicht wie taktische Regeln, da sie nicht Wissenschaft, sondern Kunst ist.
Was später in den Reichslanden vorfiel, Versumpfung in Stellungskrieg und Gebirgsrauferei, war eigentlich das Normale. Noch 1906 empfahlen französische Theoretiker die Räumung Nancys, erst später gewannen Offensivgedanken die Oberhand, von denen man sich versprach, was sie nicht halten konnten. Wohl schützte ein weitläufiges befestigtes Lager, hastig ausgerüstet, Lothringens Hauptstadt, doch was wurde aus Joffres Offensive? Sie erlosch in sich selbst, nichts hinderte die deutsche Zone, sich bis Toul auszudehnen und fortdauernde Beschießung der Umgegend in Angriff zu nehmen. Di« bayrischen Schützengräben, als Belagerungslaufgräben vor dem Fortgürtel gedacht, bekamen undurchdringliche Festigkeit, doch man führte den Feldzug hier mit so geringen Mitteln, daß er sich viele Jahre lang kümmerlich hinschleppte unter leichtem Vor- und Rückstoßen. In die Mortagne floß selten noch Blut und in den Vogesen duellierte man sich um den kitzlichen Ehrenpunkt einzelner Höhen. Das war das natürliche Ende beiderseitig weitausschauender Pläne. Aber trotzdem möchte man hier eine Vorlesung halten über Napoleons Grundsatz: »Ist der Entschluß einmal gefaßt, so muß man daran festhalten, es gibt kein Wenn und Aber mehr.« Hat man den Stoß falsch angesetzt, so bleibts dabei, denn selbst ein falscher Stoß, wenn er gelingt, ist besser als keiner. Wir gehen daher so weit, rundheraus zu versichern, daß überhaupt jede Truppenentsendung nach Westen damals von Übel war. Hat man den Feind derart am Kragen, wie die Deutschen hier noch am 10. Sept., so ist es immer eine strategische Todsünde, abzulassen und seine Schwerkraft mit riesigem Zeitverlust nach entfernter Stelle zu verlegen. Das ist ein einfaches Gesetz der Mechanik. Zwischen 10. und 25. Sept. haben vier deutsche Korps nirgendwo gefochten, ein fünftes (Deimling) seit 15. doch immer mit Verlust von 5 Tagen, während sie an ihrem vorherigen Standort einen vollen Sieg verbürgt hätten. Was riskierte denn die deutsche Hauptmacht, wenn sie hinter die Aisne und die Argonnen zurückging? Sehr wenig. Nach der Karte ließ sich bemessen, daß die ins Oise- und Sommetal entsendeten Korps niemals rechtzeitig ankommen konnten, weder um eine deutsche Niederlage an der Marne und Seine auszugleichen, noch um einen dortigen Sieg zu vervollständigen. Sie fielen für die ganze Krise vom 10.–25. Sept. auf dem Schachbrett so aus, als ob man dem Gegner eine »Vorgabe« gestatten wolle. Daher war unter allen Umständen besser, sie vorerst zu belassen, wo sie waren, bis der voraussichtliche Vollerfolg bei Charmes und Nancy errungen war, der jeden Mißerfolg an der Marne wieder gutgemacht hätte.
Diese Auffassung ändert freilich nichts an der ursprünglichen Stümperei, rund 31 Div. in Elsaß-Lothringen hineinzuzwängen, während der entscheidende Stoßflügel im Westen zuletzt nur 20 hatte, ursprünglich freilich 28, was aber im Verhältnis auch noch zu wenig war. Tatsächlich spukte hier die moderne Lehre »Up to Date« von »doppelseitiger Umfassung«, die sich immer als falsch
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