Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen
das, obwohl keine Jagdsaison ist«, fügte ich tadelnd hinzu, um meine Entgeisterung zu überspielen.
»Wenn du die Bestimmungen sorgfältig liest, dann wirst du feststellen, dass die Verbote lediglich das Jagen mit Waffen betreffen.«
Amüsiert betrachtete er mein Gesicht, während ich langsam kapierte, was er da gerade gesagt hatte.
»Bären?«, wiederholte ich zaghaft.
»Grizzlybären mag Emmett am liebsten.« Seine Stimme klang immer noch unbekümmert, doch er verfolgte genau meine Reaktion. Ich versuchte mich zusammenzureißen.
»Hmmm«, sagte ich und nahm einen Bissen von der Pizza – ein Vorwand, um den Blick zu senken. Ich kaute langsam, dann trank ich ausgiebig von der Cola und schaute weiter nach unten.
»Und?«, fragte ich, als ich mich endlich traute, seinen mittlerweile besorgten Blick zu erwidern. »Was magst du am liebsten?«
Er zog eine Augenbraue nach oben, während sich seine Mundwinkel missbilligend senkten. »Puma.«
»Ah«, sagte ich mit höflichem Desinteresse und wandte mich wieder meiner Cola zu.
Er ging auf meinen Tonfall ein. »Selbstverständlich achten wir darauf, nicht durch unüberlegtes Jagdverhalten in die Umwelt einzugreifen«, sagte er. »Wir sind bemüht, uns auf Gegenden mit einem Überbestand an Raubtieren zu beschränken, und nehmen dafür auch weite Strecken in Kauf. Natürlich wären hier in der Gegend immer genügend Rehe und Elche verfügbar, aber es soll ja auch ein bisschen Spaß machen.« Er lächelte schalkhaft.
»Oh, selbstverständlich«, murmelte ich kauend.
»Die ersten Frühlingswochen sind Emmetts bevorzugte Bärensaison – da kommen sie gerade aus dem Winterschlaf und sind besonders reizbar.« Er lächelte, als erinnerte er sich an einen alten Witz.
»Es geht doch nichts über einen gereizten Grizzlybären«, pflichtete ich ihm bei und nickte.
Er kicherte und schüttelte den Kopf. »Bitte sag mir, was du wirklich denkst.«
»Ich versuche mir das vorzustellen, aber es gelingt mir nicht«, gab ich zu. »Wie jagt man einen Bären ohne Waffen?«
»Oh, Waffen haben wir schon.« Sein Mund verzog sich zu einem kurzen, bedrohlichen Lachen, das seine blitzenden Zähne entblößte. Ich unterdrückte ein Schaudern, bevor es mich verraten konnte. »Nur nicht solche, die unter die Jagdbestimmungen fallen. Falls du jemals im Fernsehen einen angreifenden Bären gesehen hast, dann kannst du dir ein Bild von Emmett beim Jagen machen.«
Jetzt konnte ich es nicht mehr verhindern – es rieselte mir eiskalt den Rücken hinab. Verstohlen blickte ich zu Emmett hinüber und war erleichtert, dass er nicht in meine Richtung schaute. Die dicken Muskelstränge an seinen Armen und seinem Oberkörper wirkten jetzt irgendwie noch bedrohlicher.
Edward folgte meinem Blick und lachte in sich hinein. Verunsichert schaute ich ihn an.
»Bist du auch wie ein Bär?«, fragte ich leise.
»Mehr wie eine Raubkatze, das sagen zumindest die anderen«, antwortete er gutgelaunt. »Vielleicht sind unsere kulinarischen Vorlieben ja bezeichnend für unser Wesen.«
Ich probierte zu lächeln. »Vielleicht«, wiederholte ich. Doch mein Kopf war mit widersprüchlichen Bildern gefüllt, die sich partout nicht miteinander vereinbaren ließen. »Werde ich das auch einmal zu sehen bekommen?«
»Auf gar keinen Fall!« Sein Gesicht wurde noch bleicher, als es ohnehin schon war, und seine Augen funkelten wütend. Überrascht und – obwohl ich es ihm gegenüber nie zugeben würde – verängstigt von seiner Reaktion, wich ich zurück. Er lehnte sich ebenfalls nach hinten und verschränkte die Arme.
»Zu beängstigend für mich?«, fragte ich, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte.
»Wenn es das wäre, würde ich dich noch heute Nacht mitnehmen«, sagte er schneidend. »Es gibt nichts, was du dringender nötig hast als eine gesunde Portion Angst.«
»Warum dann?«, drängte ich weiter und ignorierte seine verärgerte Miene, so gut es ging.
Eine Weile saß er nur da und starrte mich wütend an.
»Später«, sagte er schließlich und kam in einer einzigen geschmeidigen Bewegung auf die Beine. »Wir müssen los.«
Ich blickte mich um und sah zu meiner Verblüffung, dass es stimmte – die Cafeteria war fast leer. Wenn ich mit ihm zusammen war, verschwammen Ort und Zeit, bis ich beides vergessen hatte. Ich sprang auf und nahm meine Tasche von der Lehne.
»Okay, dann später«, willigte ich ein. Ich würde es nicht vergessen.
E lektrische Spannung
Als wir gemeinsam den Biologieraum
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