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Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen

Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen

Titel: Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephenie Meyer
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mit einem Mal wurde mir klar, dass das alles für ihn genauso neu war wie für mich. Wie viele Jahre unbegreiflicher Erfahrungen auch hinter ihm lagen – das zwischen uns beiden verunsicherte auch ihn. Der Gedanke ermutigte mich.
    »Ich habe Angst … Na ja, aus naheliegenden Gründen kann ich nicht mit dir zusammenbleiben. Und ich habe Angst, dass ich genau das will, viel zu sehr.« Beim Reden schaute ich ihn nicht an; es kostete mich Überwindung, diesen Gedanken überhaupt auszusprechen.
    »Ja«, sagte er langsam. »Davor solltest du auch Angst haben. Dass du mit mir zusammen sein willst. Das ist tatsächlich nicht vernünftig.«
    Ich runzelte die Stirn.
    »Ich hätte schon längst weggehen sollen.« Er seufzte. »Und spätestens jetzt sollte ich es wirklich tun. Doch ich weiß nicht, ob ich das kann.«
    »Ich will nicht, dass du weggehst«, murmelte ich verzagt und senkte abermals den Blick.
    »Und genau deshalb sollte ich es tun. Aber keine Sorge. Im tiefsten Innern bin ich eine selbstsüchtige Kreatur. Ich begehre deine Nähe zu sehr, um zu tun, was ich tun sollte.«
    »Gut.«
    »Nein, nicht gut!« Wieder entzog er mir seine Hand, doch sanfter als vorher. Seine Stimme klang rauer als gewöhnlich, wenn auch immer noch schöner als jede menschliche Stimme. Es war schwer, aus ihm schlau zu werden – seine abrupten Stimmungswechsel verwirrten mich immer wieder aufs Neue.
    »Es ist nicht nur deine Nähe, die ich begehre! Vergiss das nie! Vergiss nie, dass ich für dich gefährlicher bin als für jeden anderen.« Er hielt inne, und als ich aufblickte, schaute er mit leerem Blick in den Wald.
    Ich dachte darüber nach.
    »Ich bin nicht sicher, ob ich das verstanden habe. Vor allem das Letzte«, sagte ich.
    Er schaute mich an und lächelte unerwartet.
    »Wie soll ich das bloß erklären?«, überlegte er laut. »Und am besten, ohne dir schon wieder Angst einzujagen … Hmmmm.« Scheinbar ohne darüber nachzudenken, legte er seine Hand wieder in meine; ich legte meine andere Hand obenauf und hielt seine fest umschlossen.
    »Diese Wärme – das ist so angenehm«, sagte er ganz versunken.
    Es dauerte einen Moment, dann hatte er seinen Faden wiedergefunden.
    »Jeder hat doch seinen Lieblingsgeschmack, richtig?«, setzte er an. »Der eine mag Schokoeis, der andere Erdbeer.«
    Ich nickte.
    »Tut mir leid, dass ich ausgerechnet an Essen denke – mir fällt gerade nichts Besseres ein.«
    Ich lächelte und er grinste zerknirscht zurück.
    »Die Sache ist, jeder Mensch hat einen anderen Geruch. Wenn du einen Alkoholiker in einem Raum voll mit abgestandenem Bier einschließt, wird er vermutlich nicht nein sagen. Doch er könnte widerstehen, wenn er wirklich wollte – wenn er zum Beispiel auf Entzug ist. Wenn man aber ein Glas mit hundertjährigem Brandy vor ihn hinstellt, mit dem edelsten Cognac, und wenn sich der Raum langsam mit dessen Aroma füllt – wie würde es ihm dann wohl ergehen?«
    Wir saßen stumm da und schauten einander in die Augen; jeder versuchte die Gedanken des anderen zu lesen.
    Dann brach er das Schweigen.
    »Obwohl – vielleicht hinkt der Vergleich ja. Vielleicht wäre es zu einfach, dem Brandy zu widerstehen. Machen wir aus dem Alkoholiker lieber einen Drogenabhängigen.«
    »Heißt das, ich rieche wie deine Lieblingsdroge?«, scherzte ich, um die Stimmung aufzuhellen.
    Er lächelte, dankbar dafür, dass ich darauf einging. »Du bist meine Lieblingsdroge.«
    »Passiert das öfter?«
    Er schaute hinauf in die Wipfel der Bäume und dachte nach.
    »Ich hab mit meinen Brüdern darüber gesprochen«, sagte er, den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet. »Für Jasper seid ihr eigentlich alle gleich. Er ist als Letzter in unsere Familie gekommen und muss sich noch grundsätzlich zur Enthaltsamkeit zwingen. Es dauert seine Zeit, bis sich ein persönlicher Geschmack herausbildet, was den Geruch und das Aroma betrifft.« Er warf mir einen zerknirschten Blick zu.
    »Tut mir leid«, sagte er.
    »Es stört mich nicht. Tu mir einen Gefallen und mach dir nicht ständig Sorgen, mich zu kränken oder zu ängstigen oder sonst was. So denkst du nun mal, und ich verstehe das, oder ich kann’s zumindest versuchen. Erklär es mir einfach, so gut es geht.«
    Er atmete tief ein und schaute wieder in den Himmel.
    »Jedenfalls, Jasper war sich nicht sicher, ob er schon mal jemandem begegnet ist, der so …« – er zögerte und suchte nach dem richtigen Wort – » anziehend auf ihn gewirkt hat wie du auf mich.

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