Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
wesentliche Einschränkung – und wenn du nachdenkst, kommst du wahrscheinlich von selbst drauf.«
Ich dachte nach. »Nein, keine Ahnung.«
Sie schüttelte enttäuscht den Kopf. »Vielleicht liegt es zu sehr auf der Hand. Wir müssen unsere Existenz geheim halten.«
»Ach so«, murmelte ich. Das lag allerdings auf der Hand.
»Das ist äußerst wichtig, und die meisten von uns müssen nicht daran erinnert werden«, fuhr sie fort. »Aber nach ein paar Jahrhunderten fängt der eine oder andere an, sich zu langweilen. Oder dreht durch. Wie auch immer. Und dann schreiten die Volturi ein, bevor sie oder wir Übrigen kompromittiert werden können.«
»Dann will Edward …«
»Er hat vor, sie in ihrer eigenen Stadt zu verraten – der Stadt, die sie heimlich schon seit dreitausend Jahren beherrschen, seit der Zeit der Etrusker. Sie sind so darauf bedacht, ihre Stadt zu schützen, dass sie die Jagd innerhalb der Stadtmauern verboten haben. Volterra ist wahrscheinlich die sicherste Stadt der Welt – zumindest was Vampirangriffe angeht.«
»Aber du hast doch gesagt, dass sie die Stadt nicht verlassen. Wovon leben sie denn dann?«
»Sie verlassen die Stadt tatsächlich nicht. Sie lassen sich ihre Nahrung von außen bringen, manchmal von sehr weit her. Auf diese Weise haben die Wachen etwas zu tun, wenn sie nicht gerade Abtrünnige liquidieren oder Volterra vor Verrat schützen …«
»Vor Situationen wie dieser, vor Edward«, beendete ich ihren Satz. Es fiel mir inzwischen erstaunlich leicht, seinen Namen auszusprechen. Wieso eigentlich? Vielleicht, weil ich nicht vorhatte, noch viel länger zu leben, ohne ihn zu sehen. Oder überhaupt zu leben, falls wir zu spät kamen. Es war tröstlich zu wissen, dass es bald vorbei sein würde.
»Ich wage zu bezweifeln, dass sie eine Situation wie diese schon einmal erlebt haben«, murmelte sie gereizt. »Es gibt nicht viele selbstmörderische Vampire.«
Ein Laut entfuhr mir, ganz leise nur, doch Alice schien zu verstehen, dass es ein Schmerzensschrei war. Sie schlang ihren dünnen starken Arm um meine Schultern.
»Wir tun, was wir können, Bella. Es ist noch nicht zu spät.«
»Noch nicht.« Ich ließ mich von ihr trösten, obwohl ich wusste, dass sie uns keine großen Chancen gab. »Und wenn wir es vermasseln, kriegen uns die Volturi.«
Alice erstarrte. »Du sagst das, als wäre es etwas Gutes.«
Ich zuckte die Achseln.
»Hör auf damit, Bella, sonst kehren wir in New York um und fliegen zurück nach Forks.«
»Was?«
»Du weißt genau, was ich meine. Wenn wir zu spät kommen, um Edward zu retten, werde ich alles tun, um dich zurück zu Charlie zu bringen, und ich will nicht, dass du mir Schwierigkeiten machst. Hast du verstanden?«
»Klar, Alice.«
Sie rückte ein wenig von mir ab, so dass sie mir einen wütenden Blick zuwerfen konnte. »Keinen Ärger.«
»Großes Indianerehrenwort«, murmelte ich.
Sie verdrehte die Augen.
»Und jetzt muss ich mich konzentrieren. Ich will versuchen zu sehen, was er vorhat.«
Sie ließ den Arm um meine Schulter liegen, doch ihr Kopf sank zurück in das Polster. Sie schloss die Augen, legte eine Hand an die Wange und rieb mit den Fingerspitzen über die Schläfe.
Eine ganze Weile beobachtete ich sie fasziniert. Irgendwann wurde sie vollkommen reglos, ihr Gesicht war wie versteinert. Minuten vergingen, und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gedacht, sie wäre eingeschlafen. Ich wagte nicht, sie zu stören.
Ich versuchte an irgendetwas Unverfängliches zu denken. Auf keinen Fall durfte ich über die Schrecken nachdenken, die uns bevorstanden, oder, noch schlimmer, die Möglichkeit, dass wir versagten, jedenfalls nicht, wenn ich nicht laut schreien wollte.
Ich durfte mir aber auch keine Hoffnungen machen. Wenn ich ganz, ganz großes Glück hatte, konnte ich Edward vielleicht irgendwie retten. Doch ich durfte mir nicht einbilden, dass ich dann mit ihm zusammenbleiben könnte. Ich war genau wie vorher, nichts Besonderes. Es war also abwegig zu glauben, dass er jetzt plötzlich wieder mit mir zusammen sein wollte. Ihn zu sehen und ihn ein zweites Mal zu verlieren …
Ich kämpfte gegen den Schmerz an. Das war der Preis, den ich zahlen musste, wenn ich ihm das Leben retten wollte. Ich war bereit, ihn zu zahlen.
Im Flugzeug lief jetzt ein Spielfilm, und mein Nachbar schaute gespannt zu. Ich sah, wie die Figuren sich über den kleinen Bildschirm bewegten, aber ich konnte nicht mal sagen, ob es ein Liebesfilm oder ein
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