Bis(s) 3 - Bis(s) zum Abendrot
dir passt, dann komme ich vorbei.«
»Wenn du nichts dagegen hast, komm ich lieber zu dir – zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf. Charlie hat gestern Abend den Hausarrest aufgehoben.« Ich grinste, als ich die gute Nachricht verkündete.
»Echt?«, sagte Angela, und Überraschung spiegelte sich in ihren sanften braunen Augen. »Du meintest doch, du wärst für den Rest deines Lebens eingesperrt.«
»Ich bin mindestens so überrascht wie du. Vor dem Schulabschluss hätte ich nie damit gerechnet.«
»Das ist ja toll, Bella! Wir müssen unbedingt ausgehen, um das zu feiern.«
»O ja, das klingt gut.«
»Was sollen wir machen?«, fragte Alice, und beim Gedanken an die vielen Möglichkeiten leuchtete ihr Gesicht. Alice’ Ideen gingen mir in der Regel eine Spur zu weit, und auch jetzt sah ich es in ihrem Blick – ihren Hang, völlig über die Stränge zu schlagen.
»Egal, was du im Sinn hast, Alice, so frei bin ich nicht.«
»Frei ist frei, oder?«, sagte sie.
»Bestimmt gibt es für mich immer noch Grenzen – innerhalb der USA müssten wir wohl schon bleiben.«
Angela und Ben lachten, aber Alice sah ernsthaft enttäuscht aus.
»Was unternehmen wir denn nun heute Abend?«, sagte sie.
»Nichts. Wir warten lieber erst mal ein paar Tage, um sicherzugehen, dass Charlie es ernst meint. Außerdem haben wir morgen ja Schule.«
»Dann feiern wir am Wochenende.« Alice’ Begeisterung ließ sich nicht dämpfen.
»Klar«, sagte ich, damit sie zufrieden war. Ich wollte auf keinen Fall etwas allzu Ausgefallenes unternehmen, ich wollte Charlie nicht gleich überfordern. Er sollte erst mal sehen, wie reif und verantwortungsbewusst ich war, ehe ich ihn um irgendeinen Gefallen bat.
Angela und Alice fingen sofort an zu überlegen, was wir alles unternehmen könnten, und auch Ben legte seinen Comic beiseite, um mit zu planen. Meine Gedanken schweiften ab. Erstaunlicherweise freute ich mich über die neu gewonnene Freiheit jetzt gar nicht mehr so sehr wie vorhin. Während sie darüber sprachen, was man in Port Angeles oder in Hoquiam machen könnte, merkte ich, wie meine Laune sank.
Schon bald wurde mir klar, woher meine innere Unruhe rührte.
Seit dem Abschied von Jacob im Wald hinter unserem Haus quälte mich ein bestimmtes Bild. In regelmäßigen Abständen tauchte es wieder auf, wie ein nerviger Wecker, der alle halbe Stunde klingelt, das Bild von Jacobs schmerzverzerrtem Gesicht. Das war meine letzte Erinnerung an ihn.
Als sich das Bild jetzt wieder in meine Gedanken drängte, wusste ich, weshalb ich mit meiner Freiheit nicht zufrieden war. Sie war nicht vollständig.
Zwar konnte ich fahren, wohin ich wollte – aber nicht nach La Push; ich konnte tun und lassen, was ich wollte – aber Jacob durfte ich nicht sehen. Missmutig starrte ich auf den Tisch. Es musste doch irgendeinen Weg geben.
»Alice? Alice!«
Angelas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Sie bewegte die Hand vor Alice’ starrem, ausdruckslosem Gesicht hin und her. Diesen Ausdruck kannte ich – und sofort fuhr mir der Schreck in die Glieder. Alice’ leerer Blick verriet mir, dass sie etwas ganz anderes sah als die alltägliche Szene in der Cafeteria, etwas, was auf seine Weise jedoch genauso real war. Etwas, was in der Zukunft lag und bald, sehr bald eintreten würde. Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich.
Da lachte Edward, ein scheinbar ganz natürliches, entspanntes Lachen. Angela und Ben schauten ihn an, aber ich wandte den Blick nicht von Alice. Plötzlich zuckte sie zusammen, als hätte ihr jemand unter dem Tisch einen Tritt versetzt.
»Hältst du um diese Zeit schon ein Nickerchen, Alice?«, neckte Edward sie.
Jetzt war Alice wieder ganz da. »Entschuldigung. Ich hab wohl geträumt.«
»Besser träumen als an die beiden Schulstunden denken, die noch vor uns liegen«, sagte Ben.
Alice beteiligte sich jetzt noch lebhafter an dem Gespräch als zuvor – einen Tick zu lebhaft. Ich sah, wie Edward und sie einen kurzen Blick tauschten; ehe es jemand bemerkte, schaute Alice wieder zu Angela. Edward war schweigsam, gedankenverloren spielte er mit einer Strähne meines Haars.
Ich wartete ungeduldig auf eine Gelegenheit, Edward zu fragen, was Alice in ihrer Vision gesehen hatte, aber wir hatten den ganzen Nachmittag keinen Moment für uns.
Es kam mir komisch vor, fast so, als lege er es darauf an. Nach dem Mittagessen ging er langsam, bis Ben ihn eingeholt hatte, und sprach mit ihm über irgendwelche Hausaufgaben,
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