Bis(s) 3 - Bis(s) zum Abendrot
besser gesagt, versuchst Abendessen zu machen?«
Charlie zuckte die Achseln. »Es gibt kein Gesetz, das es mir verbietet, in meinem eigenen Haus zu kochen.«
»Wenn es eins gäbe, würdest du’s ja kennen«, sagte ich und schaute grinsend auf den Stern an seiner Lederjacke.
»Ha. Guter Witz.« Er zog die Jacke aus, als hätte mein Blick ihn daran erinnert, dass er sie immer noch anhatte, und hängte sie an den Kleiderhaken, der für ihn reserviert war. Sein Pistolengurt hing schon dort – den hatte er seit Wochen nicht mehr umgeschnallt, wenn er zur Wache fuhr. In der kleinen Stadt Forks in Washington war schon länger nichts Beunruhigendes mehr passiert; die geheimnisvollen Riesenwölfe waren in den ständig verregneten Wäldern nicht mehr gesichtet worden …
Schweigend stocherte ich in den Nudeln herum und dachte, dass Charlie mir schon sagen würde, was er auf dem Herzen hatte, wenn er so weit war. Mein Vater war kein Freund großer Worte, und die Tatsache, dass er versucht hatte, ein gemeinsames Abendessen auf die Beine zu stellen, zeigte, dass er ungewöhnlich viele Worte im Kopf hatte.
Ich schaute gewohnheitsmäßig auf die Uhr – das tat ich um diese Zeit alle fünf Minuten. Keine halbe Stunde mehr.
Die Nachmittage waren das Schlimmste. Seit mein ehemaliger bester Freund (und Werwolf) Jacob Black meinem Vater verraten hatte, dass ich heimlich Motorrad gefahren war – damit ich Hausarrest bekam und mich nicht mehr mit meinem Freund (und Vampir) Edward Cullen treffen konnte –, durfte ich Edward nur noch abends von sieben bis halb zehn treffen, und auch das nur bei mir zu Hause und unter den zuverlässig grimmigen Blicken meines Vaters.
Das war eine Steigerung des etwas milderen Hausarrests, den ich mir eingehandelt hatte, als ich ohne Erklärung für drei Tage verschwunden und von einer hohen Klippe gesprungen war. Natürlich traf ich Edward weiterhin in der Schule, das konnte Charlie nicht verhindern. Außerdem verbrachte Edward fast jede Nacht in meinem Zimmer, aber davon hatte Charlie keine Ahnung. Edwards Talent, leise und behände durchs Fenster in mein Zimmer im ersten Stock hereinzuklettern, war fast so nützlich wie seine Fähigkeit, Charlies Gedanken zu lesen.
Obwohl ich nur nachmittags von Edward getrennt war, wurde ich jedes Mal ganz unruhig und die Stunden zogen sich endlos. Trotzdem ertrug ich die Strafe klaglos. Erstens wusste ich, dass ich sie verdient hatte, und zweitens konnte ich es meinem Vater jetzt nicht antun auszuziehen, wo doch bald eine Trennung von sehr viel längerer Dauer anstand. Aber davon ahnte er noch nichts.
Ächzend setzte mein Vater sich an den Tisch und faltete die feuchte Zeitung auseinander. Kurz darauf schnalzte er missbilligend mit der Zunge.
»Dad, ich weiß gar nicht, wieso du überhaupt noch Zeitung liest. Du regst dich doch nur auf.«
Er beachtete mich nicht, sondern murrte über der Zeitung weiter vor sich hin. »Deshalb will alle Welt in einer Kleinstadt leben! Es ist unglaublich.«
»Was haben die Großstädte jetzt schon wieder verbrochen?«
»Seattle ist auf dem besten Weg, die Hauptstadt der Mörder zu werden. Allein in den letzten beiden Wochen fünf unaufgeklärte Morde. Kannst du dir vorstellen, in so einer Stadt zu leben?«
»Ich glaube, da steht Phoenix auf der Liste noch weiter oben, Dad. Ich hab schon mal in so einer Stadt gelebt.« Und ich war noch nie so nah dran gewesen, selbst einem Mord zum Opfer zu fallen, wie seit meinem Umzug in diese harmlose Kleinstadt. Auch jetzt schwebten mehrere Todesdrohungen über mir … Der Löffel in meiner Hand zitterte und das Wasser schwappte bedenklich.
»Keine zehn Pferde würden mich dahin kriegen«, sagte Charlie.
Ich gab es auf, das Abendessen retten zu wollen, und beschloss es einfach zu servieren. Ich musste ein Steakmesser nehmen, um eine Portion Spaghetti für Charlie und dann eine für mich abzuschneiden, während er mir beschämt zuschaute. Er schaufelte sich Soße über seine Portion und machte sich darüber her. Ich versteckte meinen Spaghettiklumpen so gut es eben ging unter der Soße und folgte seinem Beispiel ohne große Begeisterung. Eine Weile aßen wir schweigend. Charlie las immer noch Zeitung, also griff ich nach meiner abgenutzten Ausgabe von Sturmhöhe und las dort weiter, wo ich beim Frühstück stehengeblieben war, um mich ins England des achtzehnten Jahrhunderts zu versetzen, während ich darauf wartete, dass er loslegte.
Ich war gerade bei Heathcliffs Rückkehr
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