Bis(s) 3 - Bis(s) zum Abendrot
denn keiner von beiden war böse und keiner war schwach. Und hier saß ich und weinte, anstatt etwas Sinnvolles zu tun, um es wiedergutzumachen. Genau wie Cathy.
Ich konnte meine Entscheidungen nicht mehr davon abhängig machen, ob etwas mir wehtat. Jetzt musste ich das Richtige tun, auch wenn es viel zu spät kam. Vielleicht hatte das Schicksal es schon übernommen. Vielleicht schaffte Edward es nicht, ihn zurückzuholen. Dann musste ich das hinnehmen und mein Leben weiterleben. Nie wieder würde Edward mich eine Träne um Jacob Black vergießen sehen. Es würde keine Tränen mehr geben. Mit kalten Fingern wischte ich die letzten weg.
Doch wenn Edward mit Jacob zurückkam, dann war’s das. Dann musste ich ihm sagen, er solle weggehen und nie wiederkommen.
Warum fiel mir das so schwer? So viel schwerer als der Abschied von meinen anderen Freunden, von Angela oder Mike? Warum tat es so weh? Das war nicht richtig. Es dürfte mir nicht so wehtun. Ich hatte alles, was ich wollte. Ich konnte sie nicht beide haben, denn Jacob wollte nicht nur mein Freund sein. Von diesem Wunsch musste ich mich endlich verabschieden. Wieso war ich so gierig?
Ich musste mich von diesem irrationalen Gefühl befreien, dass Jacob in mein Leben gehörte. Er konnte nicht zu mir gehören, konnte nicht mein Jacob sein, wenn ich zu jemand anderem gehörte.
Langsam ging ich zurück zu der kleinen Lichtung. Meine Beine fühlten sich schwer an. Als der Wald sich öffnete und ich in das grelle Licht blinzelte, warf ich Seth einen kurzen Blick zu – er lag immer noch auf dem Bett aus Kiefernnadeln –, dann schaute ich schnell weg.
Ich merkte, dass meine Haare wirr waren, verknotet wie die Schlangen der Medusa. Ich kämmte sie mit den Fingern, gab jedoch schnell auf. Wen kümmerte es, wie ich aussah?
Ich nahm die Feldflasche, die am Zelteingang hing, und trank einen Schluck von dem eiskalten Wasser. Irgendwo gab es auch etwas zu essen, aber ich war noch nicht so hungrig, dass ich Lust gehabt hätte, danach zu suchen. Die ganze Zeit, während ich über den kleinen sonnigen Platz ging, spürte ich Seths Blick auf mir. Weil ich ihn nicht ansah, war er in meiner Vorstellung wieder der Junge und nicht der riesige Wolf. Wie eine jüngere Ausgabe von Jacob.
Ich hätte Seth gern gebeten zu bellen oder mir irgendein Zeichen zu geben, ob Jacob wiederkommen würde, aber ich hielt mich zurück. Es spielte keine Rolle, ob Jacob zurückkam. Vielleicht war es leichter, wenn nicht. Am liebsten hätte ich Edward zurückgerufen.
In diesem Augenblick winselte Seth und richtete sich auf.
»Was ist?«, fragte ich ihn, obwohl es idiotisch war.
Er achtete nicht auf mich, trottete zum Waldrand und zeigte mit der Nase in Richtung Westen. Er begann zu wimmern.
»Sind es die anderen, Seth?«, fragte ich. »Auf der Lichtung?«
Er schaute mich an und jaulte einmal leise, dann wandte er die Nase wieder nach Westen. Er legte die Ohren an und winselte wieder.
Warum war ich so blöd gewesen? Was hatte ich mir dabei gedacht, Edward wegzuschicken? Wie sollte ich jetzt erfahren, was los war? Ich war der Wolfssprache nicht mächtig.
Ein kalter Angstschauer lief mir den Rücken hinunter. Und wenn es nun schon so weit war? Wenn Jacob und Edward zu nahe herangekommen waren? Und wenn Edward sich entschloss mitzukämpfen?
Ein Eisklumpen bildete sich in meinem Bauch. Wenn Seths Nervosität gar nichts mit der Lichtung zu tun hatte und sein Jaulen ein Nein gewesen war? Oder wenn Jacob und Edward miteinander kämpften, irgendwo weit weg im Wald? Aber das würden sie nicht tun, oder?
Mit einer Gewissheit, die mich frösteln ließ, wusste ich plötzlich, dass sie das doch tun würden – wenn einer von beiden etwas Falsches sagte. Ich dachte an die angespannte Situation heute Morgen im Zelt und fragte mich, ob sie womöglich haarscharf an einem Kampf vorbeigeschrammt waren.
Wenn ich beide verlieren müsste, würde es mir recht geschehen.
Das Eis legte sich um mein Herz.
Ehe ich vor Angst ohnmächtig werden konnte, stieß Seth tief in der Brust ein leises Grummeln aus, dann gab er seinen Wachposten auf und schlich zurück zu seinem Platz unter der Fichte. Das beruhigte mich, aber gleichzeitig ärgerte ich mich auch. Konnte er nicht eine Nachricht in die Erde kratzen oder so?
Vom Hin- und Hergehen fing ich an zu schwitzen. Ich warf die Jacke ins Zelt, dann ging ich wieder in der Mitte des kleinen Platzes auf und ab.
Plötzlich sprang Seth auf die Füße, seine Nackenhaare
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