Bis(s) 3 - Bis(s) zum Abendrot
sehen.
»Ich habe nie behauptet, ich würde fair kämpfen«, sagte er. »Und er hat es verdient, die Wahrheit zu erfahren.«
Ich ließ den Kopf in die Hände sinken.
»Bist du wütend auf mich?«, fragte er.
»Nicht auf dich«, flüsterte ich. »Es graut mir vor mir selbst.«
»Quäle dich nicht«, bat er.
»Stimmt«, sagte ich bitter. »Das spare ich mir lieber für Jacob auf. Damit er noch mehr leidet.«
»Er wusste, was er tat.«
»Spielt das eine Rolle?« Ich blinzelte die Tränen zurück, und das war mir anzuhören. »Glaubst du, es spielt für mich eine Rolle, ob es gerecht ist oder ob er gewarnt war? Ich tue ihm weh. Was immer ich tue, ich tue ihm wieder weh.« Meine Stimme wurde lauter, hysterischer. »Ich bin ein schrecklicher Mensch.«
Er nahm mich in die Arme. »Nein, bist du nicht.«
»Doch! Was ist bloß mit mir los?« Ich versuchte mich zu befreien, und er ließ die Arme sinken. »Ich muss ihn finden.«
»Bella, er ist schon meilenweit weg, und es ist kalt.«
»Das ist mir egal. Ich kann hier nicht einfach rumsitzen.« Ich zog Jacobs Parka aus, zog die Stiefel an und krabbelte steif zum Zelteingang; meine Beine waren gefühllos. »Ich muss … ich muss …« Ich wusste nicht, wie ich den Satz beenden sollte, wusste nicht, was ich tun sollte, aber ich machte den Reißverschluss auf und ging hinaus in den hellen, eisigen Morgen.
Es lag nicht so viel Schnee, wie ich nach dem Sturm der vergangenen Nacht erwartet hätte. Wahrscheinlich war er eher weggeweht worden als geschmolzen. Die Sonne stand tief im Südosten, schien grell auf den verbliebenen Schnee und stach mir in den Augen, die sich noch nicht an das Licht gewöhnt hatten. Die Kälte war immer noch schneidend, aber es ging kein Lüftchen, und als die Sonne höher stieg, wurde es langsam etwas sommerlicher.
Seth Clearwater lag im Schatten einer dicken Fichte, er hatte den Kopf auf den Pfoten und lag zusammengerollt auf einem Bett aus trockenen Kiefernnadeln. Sein sandfarbenes Fell hob sich kaum von den Kiefernnadeln ab, aber ich sah, wie sich der Schnee in seinen Augen spiegelte. Er starrte mich an, und ich erkannte den Vorwurf in seinem Blick.
Ich wusste, dass Edward mir nachging, als ich in den Wald stolperte. Ich konnte ihn nicht hören, aber seine Haut reflektierte die Sonne in glitzernden Regenbogen, die mir voraustanzten. Erst als ich tiefer in den Wald hineinging, hielt er mich zurück.
Er fasste mich am Handgelenk. Ich versuchte mich loszureißen, aber er gab nicht nach.
»Du kannst ihm nicht nachgehen. Nicht heute. Es ist bald so weit. Und wenn du dich verläufst, ist niemandem gedient.«
Ich drehte das Handgelenk herum und zog, aber es hatte keinen Sinn.
»Es tut mir leid, Bella«, flüsterte er. »Es tut mir leid, dass ich das getan habe.«
»Du hast überhaupt nichts getan. Ich bin schuld, ich hab das getan. Ich hab alles falsch gemacht. Ich hätte … Als er … Ich hätte nicht … ich … ich …« Ich schluchzte.
»Bella, Bella.«
Er nahm mich in die Arme, und meine Tränen liefen auf sein Hemd.
»Ich hätte … es ihm sagen sollen … ich hätte … sagen sollen …« Was? Wie hätte ich die Lage retten können? »Er hätte es nicht so … erfahren dürfen.«
»Soll ich versuchen ihn zurückzuholen, damit du mit ihm reden kannst? Ein wenig Zeit haben wir noch«, sagte Edward. Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie schwer ihm das fiel.
Ich nickte an seiner Brust, ohne aufzublicken, ich wollte sein Gesicht nicht sehen.
»Warte du beim Zelt. Ich bin gleich zurück.«
Er ließ mich los und verschwand so schnell, dass er, als ich aufschaute, schon nicht mehr zu sehen war. Ich war allein.
Wieder kämpfte ich mit einem Schluchzer. Heute tat ich allen nur weh. Alles, was ich anfasste, ging schief.
Ich wusste nicht, warum mich das jetzt so hart traf. Ich hatte es doch kommen sehen. Aber so heftig hatte Jacob noch nie reagiert – dass er sein unerschütterliches Selbstvertrauen verloren und sein Leid so offen gezeigt hätte. Irgendwo tief in der Brust spürte ich noch immer seinen Schmerzensschrei. Und dann war da noch der andere Schmerz. Schmerz, weil ich jetzt auch noch Edward verletzte, indem ich meinen Kummer so offen zeigte. Weil ich Jacob nicht einfach gehen lassen konnte, wohl wissend, dass es das einzig Richtige wäre.
Ich war egoistisch, ich tat anderen weh. Ich quälte die, die ich liebte.
Ich war wie Cathy in der Sturmhöhe , nur dass ich viel bessere Alternativen hatte als sie,
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