Bis(s) 3 - Bis(s) zum Abendrot
Vorstellung, mit ihm am Lagerfeuer aufzutauchen. Ich hatte mich gefragt, ob ich für die Werwölfe wohl eine Verräterin war. Womöglich waren sie sauer auf Jacob, weil er mich eingeladen hatte, und ich verdarb ihnen das Fest.
Aber als Jacob mich aus dem Wald zu dem Treffpunkt auf der Klippe geführt hatte – wo das Feuer bereits heller leuchtete als die Sonne hinter den Wolken –, war alles ganz einfach gewesen.
»Hey, Vampirmädchen!«, hatte Embry zur Begrüßung laut gerufen. Quil war aufgesprungen, hatte mir in die Hand geklatscht und mich auf die Wange geküsst. Emily drückte mir die Hand, als wir uns neben sie und Sam auf den kühlen Steinboden setzten.
Abgesehen von ein paar Frotzeleien – vor allem von Paul – über den Blutsauger-Gestank, den der Wind angeblich in die falsche Richtung wehte, behandelten sie mich wie eine von ihnen.
Nicht nur wir jungen Leute waren da. Auch Billy war gekommen; er schien ganz selbstverständlich den Vorsitz innezuhaben. Neben ihm auf einem ziemlich wackligen Klappstuhl saß Quils uralter weißhaariger Großvater, Old Quil. Sue Clearwater, die Witwe von Charlies Freund Harry, hatte sich auf der anderen Seite von Billy einen Stuhl aufgestellt. Auch ihre beiden Kinder Leah und Seth waren da; sie saßen wie wir anderen auf dem Boden. Es wunderte mich, dass die drei dabei waren, aber offenbar waren sie jetzt eingeweiht. So, wie Billy und Old Quil mit Sue sprachen, schien sie Harrys Platz im Rat eingenommen zu haben. Waren ihre Kinder dadurch automatisch in die geheimste Gemeinschaft von La Push aufgenommen?
Ich stellte mir vor, wie schrecklich es für Leah sein musste, Sam und Emily gegenüberzusitzen. Ihr schönes Gesicht ließ keine Regung erkennen, aber sie hob den Blick nie von den Flammen. Ich sah Leahs makellose Züge und verglich sie unwillkürlich mit Emilys entstelltem Gesicht. Was dachte Leah, wenn sie Emilys Narben sah, jetzt, da sie wusste, woher sie stammten? Waren sie in ihren Augen die gerechte Strafe?
Der kleine Seth Clearwater war gar nicht mehr so klein. Mit seinem fröhlichen breiten Grinsen und seiner langen, schlaksigen Gestalt kam er mir vor wie eine jüngere Ausgabe von Jacob. Über die Ähnlichkeit musste ich erst lächeln, dann seufzen. War auch Seth dazu verdammt, eines Tages so ein Leben zu führen wie die anderen Jungs hier? Durfte er deshalb mit seiner Familie hier sein?
Das ganze Rudel war gekommen: Sam mit Emily, Paul, Embry, Quil und Jared mit Kim, dem Mädchen, auf das er geprägt worden war.
Mein erster Eindruck von Kim war, dass sie ganz nett war, etwas schüchtern und ein bisschen langweilig. Sie hatte ein breites Gesicht mit kräftigen Wangenknochen, und ihre Augen waren zu klein, um davon abzulenken. Sowohl ihre Nase als auch ihre Lippen waren nach den herkömmlichen Vorstellungen von Schönheit zu breit. Sie hatte glatte schwarze Haare, die in dünnen Strähnen in dem Wind flatterten, der hier oben auf der Klippe nie nachzulassen schien.
Das war der erste Eindruck. Doch nachdem ich sie ein paar Stunden zusammen mit Jared gesehen hatte, konnte ich sie nicht mehr langweilig finden.
Wie er sie anstarrte! Wie ein Blinder, der zum ersten Mal die Sonne sieht. Wie ein Kunstsammler, der einen unentdeckten da Vinci findet, wie eine Mutter, die das Gesicht ihres neugeborenen Kindes sieht.
Durch seine staunenden Augen nahm ich sie plötzlich anders wahr – ich sah, dass ihre Haut im Feuerschein schimmerte wie rötliche Seide, dass ihre Lippen in einer vollkommenen Doppelkurve geschwungen waren, wie makellos weiß ihre Zähne waren und wie lang ihre Wimpern, wie sie ihre Wangen streichelten, wenn sie den Blick senkte.
Manchmal wurde Kims Haut dunkler, wenn sie Jareds bewunderndem Blick begegnete, und dann schaute sie verlegen zu Boden, aber es fiel ihr sichtlich schwer, ihn nicht anzusehen, und sei es nur für einen Moment.
Wenn ich sie ansah, hatte ich das Gefühl, besser zu verstehen, was Jacob mir erzählt hatte. Es ist schwer, einem solchen Liebeswerben zu widerstehen.
Jetzt döste Kim an Jareds Brust ein, er hatte die Arme um sie geschlungen. Ich stellte mir vor, wie warm sie es dort hatte.
»Es wird spät«, sagte ich leise zu Jacob.
»Jetzt noch nicht«, flüsterte Jacob – was unnötig war, weil die Hälfte der Anwesenden sowieso so gute Ohren hatten, dass sie alles verstehen konnten. »Das Beste kommt noch.«
»Was ist denn das Beste? Wie du ein ganzes Rind auf einmal verschlingst?«
Jacob lachte sein leises,
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