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Biss der Wölfin: Roman

Biss der Wölfin: Roman

Titel: Biss der Wölfin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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verfolgte, schien ich eine letzte Kraftreserve entdeckt zu haben.
    Als wir etwa eine halbe Meile weit gerannt waren und keiner von ihnen schneller wurde oder zurückfiel, teilte mir das Geräusch ihres stetigen Atems mit, dass sie sich nicht sonderlich anstrengten, und mir ging auf, dass sie mich meinen Vorsprung halten ließen.
    Sie ermüdeten mich auf die gleiche Art, wie wir es mit Wild machten – sie ließen die Beute in ihrer ersten panischen Flucht ihre Kräfte erschöpfen. Hinter mir grunzte der Größere meiner beiden Verfolger; ich sah mich um und stellte fest, dass er gestolpert war, als habe sich seine Pfote in einer Wurzel verfangen. Es brachte ihn nicht zu Fall, machte ihn nicht einmal langsamer, aber es erinnerte mich an seine Position – hinter meiner linken Flanke. Und der Jüngere hielt sich rechts. Sie verwendeten also gar nicht den alten Die-Beute-müde-hetzen-Trick. Sie verwendeten den alten Die-Beute-in einen-Hinter…
    Oh, Scheiße.
    Ich trat auf die Bremse und bog scharf nach rechts ab. Den Jüngeren erwischte ich damit unvorbereitet; ich schoss an ihm vorbei, als er noch mit seinem eigenen Rutsch-und-Abbiege-Manöver beschäftigt war. Dem Prasseln von Büschen hinter uns entnahm ich, dass ich recht hatte: Ich war mit Mühe und Not ihrer Falle entgangen, denn ein drittes Wesen hatte weiter vorn auf der Lauer gelegen.
    Wie viele von denen gab es? War es ein Rudel? Eine Großfamilie? Wo lebten sie? Hier draußen, gefährlich nahe an der Zivilisation? Wie machten sie es …
    Ich schaltete das Gehirn ab und leitete die Energie stattdessen in meine Beine. Im Rennen fing ich den Geruch eines vierten Wesens auf; er blies mir geradewegs ins Gesicht, und mir wurde klar, dass sie außerdem für eine Nachhut gesorgt hatten.
    Ich versuchte, wieder abzuschwenken, tauchte dieses Mal in den Wald ein in der Hoffnung, ihnen hier entkommen zu können, aber der Ältere war zu dicht hinter mir, und sobald ich langsamer wurde, um abzubiegen, packte er mich am Hinterbein und zog.
    Ich wehrte mich, kratzte mit allen drei Füßen im Schnee herum, scharrte ihn weg bis auf die Erde in meinem verzweifelten Versuch, Halt zu finden. Aber er hielt mich fest, und am Druck seiner Reißzähne merkte ich, dass ich mich nicht losreißen konnte … jedenfalls nicht, wenn die untere Hälfte meines Beins intakt bleiben sollte.
    Als ich aufhörte zu zappeln, verpasste er meinem Bein einen Ruck, und meine Vorderfüße rutschten nach vorn weg. Ich landete mit dem Bauch auf dem Boden, und er zog mich rückwärts wieder auf die Lichtung hinaus. Dann ließ er los.
    Als ich aufstand, sah ich in jeder Himmelsrichtung einen von ihnen stehen. Sie standen einfach da und beobachteten mich, ohne jeden Ausdruck in ihren identisch blauen Augen. Nur der Jüngste von ihnen bewegte sich, scharrte in jugendlicher Ungeduld mit den Füßen, sah von einem der Älteren zum Nächsten, wartete darauf, dass sie zur Sache kamen. Einen Moment später begannen zwei der anderen dem vierten Blicke der gleichen Art hinüberzuwerfen. Er war der Größte und wohl auch der Älteste, nach dem Grau zu urteilen, das seinen dunklen Pelz durchzog. Der Alpha.
    Der Alpha studierte mich und grunzte. Dann streckte er die Vorderbeine durch; die Hinterbeine folgten. Sein Kopf fiel zwischen seine Schulterblätter. Es war eine Position, die ich sehr gut kannte, und als ich sie sah, begann mein Herz zu hämmern.
    Das Wesen begann mit seiner Wandlung. Ich hätte darauf gefasst sein sollen, aber ich war es nicht. Der eigentliche Schock kam, als ich sah, in was er sich verwandelte.
    Mir fiel dabei mein anthropologisches Seminar im ersten Studienjahr ein, in dem es um den Neandertaler gegangen war. Der Dozent hatte eine Darstellung eines Neandertalers verwendet und ihn in einen Anzug gesteckt, um uns zu demonstrieren, dass der Mann entgegen der populären Vorstellung von einem unmenschlich primitiven Wesen die Wall Street hätte entlanggehen können, ohne dass sich jemand nach ihm umgedreht hätte. Ja, im Lauf seines Lebens hätte er wahrscheinlich ein paar Höhlenmenschen-Witze zu hören bekommen, aber niemand hätte bei seinem Anblick geschrien »Oh, mein Gott, es ist ein Neandertaler!« – ebenso wenig wie die Leute bei unserem Anblick schreien »Oh, mein Gott, es ist ein Werwolf!«. Wir sehen der Normalform ähnlich genug, um nicht weiter aufzufallen.
    Als dieser Typ hier mit seiner Wandlung fertig war, erinnerte er mich an die Zeichnung von damals. Okay, natürlich ohne

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