Biss der Wölfin: Roman
reden.«
»Ja, aber nicht jetzt. Es ist nichts, das ich im Auto besprechen wollte. Und es ist ja nicht akut. Es macht mir einfach nur …«
»Sorgen.«
Meine Hände umklammerten das Lenkrad, mein Atem kam so schnell, dass es weh tat.
»Elena …«
Ich sah ihn nicht an. »Alles in Ordnung. Wir reden später drüber.«
»Fahr an den Straßenrand und …« Mein Gesichtsausdruck ließ ihn abbrechen. Er rieb sich mit der Hand über den Mund. »Okay. Wir reden im Hotel. Aber ich mag den Gedanken nicht, dass du dermaßen verstört bist …«
»Ich bin nicht verstört.«
» Besorgt und eine Woche lang gewartet hast, bis du’s mir sagst. Kein Wunder, dass du so froh warst, mich zu sehen.«
Ich sah ihn an. »Ja, ich will reden, aber ich hab dich wirklich vermisst. Sehr sogar.«
»Kann ich das schriftlich haben?«
Ich brachte ein Lächeln zustande. »Kommt überhaupt nicht in Frage.«
6 Fort
A ls wir jetzt wieder nach Anchorage hineinfuhren, konnte ich die Stadt zum ersten Mal bei Tageslicht begutachten. Wenn man den umwerfenden Hintergrund aus Meer und Bergen ignorierte, sah sie im Grunde aus wie jede andere mittlere Großstadt mit Einkaufsmeilen und Striplokalen, Walmarts und Walgreens. Was mir auffiel, war der Schnee – beziehungsweise sein Fehlen. Die Straßen waren trocken, und viele Vorgärten waren es ebenfalls. Den Digitalanzeigen zufolge, an denen wir vorbeikamen, hatten wir jetzt ein paar Grad über null, etwa die Temperatur also, die man um diese Jahreszeit auch im Staat New York erwartet hätte, und dort hatten wir noch entschieden mehr Schnee.
Dennis’ Wohnblock war so normal und durchschnittlich wie die Stadt selbst. Nichts Schäbiges oder Spektakuläres. Nichts Historisches oder Postmodernes. Einfach nur ein unprätentiöses, gepflegtes Gebäude.
Die Schildchen an der Tür verrieten uns, dass Dennis unter seinem wirklichen Namen hier lebte. Auch alle Rudelwerwölfe tun das. Wir haben Ausweise mit falschen Namen, aber einer der Gründe, warum Werwölfe zum Rudel gehören, ist die Möglichkeit, ein Territorium zu beanspruchen, und das geht am einfachsten, wenn man den Geburtsnamen verwendet.
Ich drückte an der Haustür auf Dennis’ Klingelknopf. Als sich auch beim zweiten Versuch niemand meldete, war ich drauf und dran, mir einen anderen Weg ins Innere zu suchen, aber dann öffnete mir eine andere Mieterin die Tür. Ich dachte zunächst, sie hätte uns mit irgendwelchen Mitbewohnern verwechselt, aber als wir ins Foyer traten, fragte sie uns, wen wir besuchen wollten. Und als ich mit »Dennis« antwortete, wusste sie nicht, von wem ich redete; sie wirkte sogar eine Spur verlegen dabei, als sei sie der Ansicht, dass sie es hätte wissen sollen.
Clay klopfte an Dennis’ Wohnungstür. Beim zweiten Klopfen öffnete sich die Tür einer Nachbarwohnung. Eine ältere Frau mit buschigem weißem Haar und riesigen Brillengläsern spähte in den Hausflur hinaus, zwinkernd wie eine runzlige Schleiereule.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich. »Wir wollten Sie nicht …«
»Wollen Sie zu Dennis?«
»Ja, wir sind Freunde von …«
»Er ist nicht zu Hause, Liebes. Schon eine Weile nicht da gewesen.« Sie schob sich zur Tür heraus, wobei sie den Morgenmantel um ihre plumpe Gestalt zusammenhielt. »Dennis ist nicht von der Sorte, die ihre Anwesenheit allen Leuten mitteilen muss, anders als manche …« – ein wütender Blick zu einer Tür auf der anderen Seite des Hausflurs hinüber – »aber sonst sehe ich ihn eigentlich jeden Tag. Er bringt mir die Post rauf und fragt, ob ich irgendwas brauche, wenn er weggeht.«
»Aber in letzter Zeit war er nicht da?« Ich sprach langsam in der Erwartung, dass sie mich wieder unterbrechen würde, aber als ich fertig war, blinzelte sie lediglich zu mir herauf.
»Er ist seit ein paar Tagen weg?«, hakte ich nach.
»Oh, nein, Liebes. Länger als das. Er verschwindet immer mal wieder für ein, zwei Tage. Diesmal ist es schon fast eine Woche.«
Ich spürte, wie Clay hinter mir sein Gewicht auf den anderen Fuß verlagerte. Die Antwort gefiel ihm nicht.
»Dann ist es also nicht das Übliche, dass Dennis …«, begann ich wieder.
»Sie sollten mit Charles reden. Er macht sich auch schon Sorgen.«
»Charles?«
»Der Hausverwalter. Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Büro.«
Ich versicherte ihr, das sei nicht nötig, wir würden es finden, aber sie blieb dabei und begann, in ihren riesigen Eisbärpfoten-Hausschuhen den Gang entlangzutappen. Im Aufzug stellte
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