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Biss der Wölfin: Roman

Biss der Wölfin: Roman

Titel: Biss der Wölfin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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allen anderen Leuten auf der Straße, einer dieser typischen Geschäftsleute, die um diese Tageszeit jedes amerikanische Stadtzentrum füllten.
    Er war durchschnittlich groß. Schlank, obwohl er jetzt mit dem Eintritt in die mittleren Jahre etwas Fleisch anzusetzen begann. Ich wusste, dass Joey wenige Jahre älter war als Clay, aber er konnte wirklich als Fünfziger durchgehen. Bebrillt und ernsthaft, mit Linien auf der Stirn, die mir mitteilten, dass »ernsthaft« sein üblicher Gesichtsausdruck war. Sein braunes Haar war mit Grau durchzogen, mehr sogar als bei Jeremy, so dass ich mich fragte, ob er es färbte, um seinem wirklichen Alter entsprechend auszusehen.
    »Nur zu«, sagte ich zu Clay.
    »Komm mit mir. Wir sollten …«
    »Geh schon. Ich habe jetzt die Leitung, weißt du noch?«
    Er lächelte und trabte davon. Wir waren zuvor übereingekommen, dass Clay Joey allein ansprechen sollte. Es kam mir so nur richtig vor – Joey gehörte zu einem Teil von Clays Leben vor meiner eigenen Zeit. Selbst wenn Dennis Joey von mir erzählt haben sollte, es war ganz unnötig, dass meine Gegenwart das Wiedersehen noch komplizierte.
    »Joey!«, rief Clay, während er über die Straße trabte.
    Joey hätte ihn eigentlich hören müssen, aber er ging weiter, als habe er den alten Rufnamen nicht erkannt.
    »Joseph!«
    Jetzt hörten es sogar seine zwei Begleiter, denn beide drehten sich um, und die ältere Frau berührte Joeys Ellbogen, als er weiterging. Ich sah, wie ihre Lippen sich bewegten und sie ihn darauf hinwies, dass jemand hinter ihnen herrief.
    Joey blickte sich über die Schulter um. Er bemerkte Clay. Kein Anzeichen von Erkennen huschte über sein Gesicht. Als ich selbst Clay kennenlernte, waren erst wenige Jahre vergangen, seit Joey das Rudel verlassen hatte; ich wusste also, dass Clay sich seither nicht sehr verändert hatte. Zum Teufel, von den zusätzlichen Jahren abgesehen, hatte er sich überhaupt nicht verändert, von der Haartracht – kurz geschnittene goldblonde Locken – bis zu seinem Kleidungsstil – Jeans, T-Shirt und Lederjacke.
    Joey ging weiter. Ich verspannte mich, aber Clay setzte sich einfach wieder in Trab und wurde nicht langsamer, bis er dicht genug herangekommen war, dass Joey ihn riechen konnte. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte kurz zu.
    »Joey«, sagte er. »Ich bin Clay. Clayton Danvers.«
    Immer noch änderte sich nichts an Joeys Gesichtsausdruck. Mit einer so leisen Stimme, dass ich ihn von der anderen Straßenseite her kaum verstehen konnte, sagte er: »Ich fürchte, Sie halten mich für jemand anderen.«
    Clay grinste. »Sorry. Inzwischen heißt es Joseph, stimmt’s? Ein bisschen alt für Joey. Du hast den Namen schon als Junge nicht besonders gemocht.«
    »Sie müssen mich mit jemandem verwechselt haben.«
    Bevor Clay noch etwas dazu sagen konnte, nickte Joey ihm kurz und höflich zu und schloss sich seinen Kollegen wieder an.
    »Der scheint sich aber ziemlich sicher gewesen zu sein«, sagte der Mann, als sie sich der Tür des Bürogebäudes näherten.
    »Hört sich der Akzent an, als wäre ich mit ihm zusammen aufgewachsen?«
    Die Frau lachte. »Aber er ist elend sexy.« Sie warf einen Blick über die Schulter, um Clays Rückfront zu bewundern, während er sich entfernte. »Hättest du mir zuliebe nicht wenigstens so tun können, als ob du ihn kennst? Einer alten Dame den Tag retten?«
    Der zweite Mann lachte, und sie verschwanden in dem Gebäude.

    Ein neuer Tag, ein neuer Cappuccino. Und wieder ein wundervoller und außergewöhnlicher Ort, um ihn zu trinken. Hätten wir zu Hause mehr Koffeintankstellen wie diese hier gehabt, hätte ich mich zu einem hoffnungslosen Kaffeehaus-Junkie entwickelt.
    Dieses Café war gleichzeitig ein russisch-orthodoxes Museum und lag dem Museum gegenüber, in dem Reese attackiert worden war. An diesem Morgen waren wir die einzigen Gäste; die Stille wurde nur von der leisen Unterhaltung zwischen dem Angestellten hinter der Theke und einem russisch-orthodoxen Priester unterbrochen.
    Ich hatte gehofft, die ruhige Umgebung und die religionsgeschichtlichen Ausstellungsstücke würden Clay zum Reden bringen. Doch wir waren mit unserem Kaffee fast fertig, und er hatte noch keinen vollständigen Satz herausgebracht.
    »Vielleicht war es gar keine so gute Idee, ihm einfach aufzulauern«, sagte ich schließlich. »Ich wollte ihn das mit seinem Vater – und das mit den Mutts – wissen lassen, und zwar so schnell wie möglich, aber wir

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