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Biss der Wölfin: Roman

Biss der Wölfin: Roman

Titel: Biss der Wölfin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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was mir durch den Kopf geht.
    Ich wurde langsamer. Clay änderte die Richtung und begann, einen weiten Bogen um Tesler zu schlagen. Der Mutt hörte, wie das Hämmern meiner Füße zurückblieb, und warf einen Blick nach hinten; obwohl ich gut zehn Meter von ihm entfernt war, hätte ich schwören können, dass er lächelte. Ich sah ihn an, blickte mich um, suchte den leeren Horizont ab, als hielte ich Ausschau nach Clay.
    Ich pfiff. Dann pfiff ich ein zweites Mal, lauter und schriller, ein Übergang von »Hey, wo bist du?« zu »Oh, Scheiße, wo bist du?«
    Tesler beugte sich vor, beide Hände auf die Oberschenkel gestemmt, um zu Atem zu kommen. Der Wind war abgeflaut, und ich konnte ihn keuchen hören, fast im Rhythmus mit dem Tuckern des näher kommenden Zuges. Hinter ihm schlug Clay unbemerkt seinen Bogen.
    Tesler studierte mich, immer noch vornüber gebeugt. Er hätte es wirklich gern zu Ende gebracht, aber in die Länge gezogene Kämpfe und Verfolgungsjagden waren nicht seine Stärke, und er war außer Atem. Er musste jetzt die erregende Möglichkeit, Dominanz zu etablieren, gegen die mögliche Blamage einer Niederlage gegen eine Frau abwägen – möglicherweise seine letzte Niederlage, wenn Clay rechtzeitig auftauchte. Ich könnte jetzt sagen, der Überlebensinstinkt siegte, aber ich habe den Verdacht, es war sein Ego – wenn er sich gar nicht erst auf einen Kampf einließ, konnte er ihn nicht verlieren. Er richtete sich auf und machte Anstalten, sich abzuwenden und wieder loszurennen.
    Ich stürzte auf ihn zu, bevor er Gelegenheit hatte, Clay zu bemerken. Er fuhr wieder herum, die Fäuste erhoben. Ich tanzte rückwärts. Er wischte sich ein weiteres Blutrinnsal von der Lippe und lächelte. Ich suchte Streit, aber zugleich hatte ich Angst – eine unwiderstehliche Mischung. Er wandte Clay jetzt vollständig den Rücken zu. Ich tat einen Boxer-Twostep vorwärts und dann wieder zurück, wobei ich etwas weiter zurückwich, als ich vorgegangen war – als versuchte ich Abstand zu gewinnen, während ich mir zugleich einzureden versuchte, dass ich bereit war, es mit ihm aufzunehmen.
    Irgendwann war Clay so nahe, dass Tesler ihn wittern konnte. Seine Nase ging ruckartig nach oben, und er fuhr so schnell herum, dass er fast das Gleichgewicht verloren hätte. Dann rannte er in südlicher Richtung los … gerade als der Zug vorbeikam, eine massive Mauer aus langsam fahrenden Wagen, die ihm den Fluchtweg abschnitt.
    Er drehte sich einmal um seine Achse und musste feststellen, dass er in der Falle saß. Ich wappnete mich für den Versuch, auf das schwächste Hindernis loszugehen, nämlich auf mich, und er machte Anstalten, es zu tun; dann täuschte er nach der Seite und rannte mit aller Kraft auf den Güterzug zu.
    »Scheiße, nein«, grollte Clay halblaut.
    »Scheiße, ja«, sagte ich, als Tesler eine Leiter zwischen zwei Wagen packte.
    Wir folgten ihm. Im Film sieht derlei immer so einfach aus, aber selbst bei einem langsam fahrenden Zug und werwölfischer Gewandtheit und Kraft war es eine Leistung, auf diese Leiter hinaufzukommen … vor allem angesichts der Tatsache, dass ein zweihundertfünfzig Pfund schwerer Mutt bereits oben stand und wild entschlossen war, keine weiteren blinden Passagiere zuzulassen.
    Clay hatte es fast bis nach oben geschafft, als Teslers Fuß nach vorn schoss und auf sein Kinn zielte. Clay packte den Knöchel und zerrte. Tesler stürzte nach vorn, trat wild um sich und versuchte, einen Halt zu finden; um nicht über die Kante gezerrt zu werden, hielt er sich mit aller Kraft seiner aufgepumpten Arme fest. Ich hing währenddessen an der untersten Sprosse und versuchte, den Rücken über dem Boden zu halten, um nicht über die Gleise geschleift zu werden.
    Tesler rettete sich aus Clays Reichweite, kam auf die Beine und rannte los, auf den Dächern der Waggons den Zug entlang. Wir machten uns an die Verfolgung.
    Ich rechnete jeden Moment damit, dass der Zug zum Stehen kommen würde, weil jemand uns entdeckt und die Notbremse gezogen hatte. Aber er tuckerte weiter und wurde allmählich schneller, während wir vorgebeugt über die Wagendächer stürmten. Das Metall unter unseren Füßen vibrierte, der Zug schaukelte von einer Seite zur anderen, jede mit eiskaltem Regenwasser gefüllte Delle ließ uns ausrutschen, und der Gestank von Diesel erfüllte unsere Nasen. Dazu kamen das Kreischen und Knirschen des Metalls, das unsere Zähne schmerzen ließ und jedes Wort übertönte, das Clay zu mir

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