Bissgeschick um Mitternacht
dem Kronleuchter an der Wohnzimmerdecke und versuchte verzweifelt, in dieser Position ein Schluck von ihrem Glas zu nehmen. Nach mehreren Versuchen, bei denen ihre Blutblubberbowle aber nur nach unten auf den Kopf von Mihai Tepes tropfte (der davon dank seines auch im hohen Alter sehr dichten Haarwuchses aber nichts mitbekam), gab Silvania es auf und stellte ihr Glas auf dem Kronleuchter ab. Sie verschränkte die Arme, starrte mit vor Verzweiflung rot geränderten Augen nach unten und schnaufte: »Fumpfs!«
Mihai Tepes, der sein Glas in einem Zug leer getrunken hatte, fuhr sich über den schwarzen Schnauzbart. »Jetzt wäre doch mal wieder ein schöner Anlass, gemeinsam das ergreifende Heimatlied ›Transsilvania, rodna inima moi‹ zu singen«, fand Mihai Tepes und streckte bereits die Brust heraus.
»Mihai, nach dem Essen vielleicht«, wandte Elvira Tepes schnell ein. Sie kannte das transsilvanische Heimatlied. Es war ein schönes Lied mit wunderbarem Text und bewegender Melodie. Und mit 14 Strophen. Normalerweise war Elvira Tepes sehr angetan, wenn ihr Mann dieses Lied sang. Doch seit sie die transsilvanische Heimat verlassen hatten und nach Deutschland gezogen waren, sang er es täglich. Manchmal sogar mehrmals an einem Tag. Irgendwann war der Punkt gekommen, an dem er es einmal zu oft gesungen hatte. »Außerdem haben wir etwas sehr Wichtiges zu besprechen.« Elvira schielte zur Wohnzimmerdecke, an der Silvania vor Langeweile und Frust anfing, mit ihrem langen Ärmel auf dem Kronleuchter Staub zu wischen. Dann schielte Frau Tepes zu Daka, die neben ihr saß.
Sie steckte sich gerade eine marinierte Schweineborste in den Mund, lutschte einen Moment, dann knackte es. Plötzlich wackelten ihre Nasenflügel, Daka schnaufte und zwei lila Wölkchen kamen aus den Nasenlöchern. »Skyzati«, sagte sie schnell und wedelte die Wölkchen weg.
Bei Daka waren die Haarstacheln an den Beinen tatsächlich schon auf dem Heimflug verschwunden. Dafür stieß sie jetzt alle paar Minuten lila Wölkchen aus der Nase. Sie rochen wie eine Mischung aus Fenchel, Mettwurst und Schwimmbad.
Trotz der lila Wölkchen und des Flugzwangs hatten sich Silvania und Daka unheimlich gefreut, ihre transsilvanische Oma nach langer Zeit endlich wiederzusehen. Opa Gustav und Oma Rose hatten die schlafende Zezcilia zusammen mit zwei Lamadecken vor ein paar Stunden im Lindenweg abgeliefert. Kurz nachdem ihre Enkelinnen aus der Schule nach Hause gekommen waren, war Oma Zezci wieder aufgewacht. Als sie Silvania und Daka liebevoll 35 Kopfnüsse hintereinander gegeben hatte, hatten die beiden einen Moment lang alle Sorgen vergessen.
Doch nur einen Moment.
»Ich möchte endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben«, jammerte Silvania an der Wohnzimmerdecke, nachdem sie mit Staubwischen auf dem Kronleuchter fertig war. Sie sah sehnsüchtig zu den anderen am Tisch unter ihr.
»Hmpf«, machte Daka und abermals quollen zwei lila Wölkchen aus ihrer Nase. »Und ich will, dass diese Nasenschnauber aufhören. Wenn sie wenigstens schwarz wären oder nach Modder riechen würden.«
»Nimmt das denn nie ein Ende?«, schluchzte Silvania. »Werden jetzt unser Leben lang lila Wölkchen, Brüste und Bärte aus uns herausquellen? Werde ich für immer an der Wohnzimmerdecke kleben?« Eine Träne fiel aus Silvanias Augenwinkel und tropfte in Mihais Karpovka.
»Und wieso überhaupt?«, wunderte sich Daka. »Haben wir etwas Falsches gegessen? Ist das ein fieser Virus?«
Elvira Tepes legte den Arm um Daka. Mihai Tepes zog Silvania an den Haaren sanft ein Stück nach unten und Oma Zezci tätschelte ihre Wange.
»Das ist kein Virus«, erklärte Elvira Tepes.
Mihai Tepes schüttelte den Kopf und sah seine Töchter betroffen an. »Etwas viel Schlimmeres.«
Oma Zezci, die bereits eingeweiht war, nickte.
"Die PUBERTÄT«, sagten Elvira, Mihai und Zezcilia Tepes im Chor.
Daka runzelte die Stirn. Das Kreuz aus Pickeln wellte sich. »Ist das nicht das, wo einem die ganze Welt nur noch extrem auf die Nerven geht?«
»Haarwuchs, Brustwuchs, Stimmbruch – das gehört alles zur Pubertät, soweit ich weiß«, überlegte Silvania laut. »Aber davon, dass Mädchen nur eine Brust bekommen, meterlange Achselhaare oder einen Schnauzbart, unter Flugzwang leiden und lila Wölkchen ausstoßen, habe ich noch nichts gehört.«
»Ihr seid ja auch keine normalen Mädchen«, wandte Oma Zezci ein. Es klang, als wäre sie stolz darauf.
»Danke, dass du uns daran erinnerst«, sagte
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