Bissgeschick um Mitternacht
Augenlider flackerten, die Augenbrauen zogen sich zusammen, dann wanderten sie nach oben, seine Nasenflügel bebten. »Ich sehe«, begann er auf einmal mit entstellter Stimme, »einen Baum.«
Helene runzelte die Stirn. Sie wusste nicht genau, wie viele Bäume es in Bindburg gab, aber es waren mit Sicherheit zu viele, um sie alle in einer Stunde abzusuchen.
»Dahinter sind graue Felsen. Aber sie sehen irgendwie seltsam aus. Als wären es keine echten Felsen«, fuhr Ludo fort.
Helene durchzuckte der Gedanke wie ein Blitz. »Die Kletterwand im Stadtpark! Die Bindau fließt mitten durch den Park. Das muss es sein!«
Ludo riss die Augen auf und stand auf. »Los, steig auf«, sagte er und zeigte auf sein Longboard.
Kaum hatte sich Helene aufs Longboard gestellt, sprang Ludo auf, stieß sich mit einem Bein ab und sie schossen durch die Nacht Richtung Stadtpark.
Auf der Jagd
S ie hingen nur ein paar Meter von ihm entfernt und schliefen. Die beiden bissigen Nachbarmädchen. Dirk van Kombast war dem Signal des Escortflohs gefolgt. Er hatte den silbernen Sportwagen abgestellt, war über einen Zaun geklettert und die letzten Meter zu Fuß gegangen.
Jetzt stand er mit gezückter Zwille nur wenige Armlängen von den Vampirschwestern entfernt. Sie waren in dicke Lamadecken eingewickelt und sahen aus wie zwei Mumien. Sie schliefen. Silvania Tepes schnarchte leise und Dakaria Tepes grunzte im Schlaf. Natürlich wären sie so eine leichte Beute gewesen. Ohne Weiteres hätte der Vampirjäger die beiden bissigen Mädchen überwältigen können. Doch sie waren leider nicht die einzigen gefährlichen Wesen, die nur wenige Meter entfernt von ihm schlummerten.
Dirk van Kombast stand unentschlossen in der Dunkelheit. Er drehte die Zwille in der Hand, er sah zu den schlafenden Schwestern und ihrem schlafenden, bedrohlichen Kumpan, der direkt unter ihnen ruhte. Normalerweise waren alle drei Geschöpfe nachtaktiv. Doch anscheinend hatten sie schon zu lange in Deutschland gelebt und sich dem hiesigen Leben und ihrem Umfeld angepasst.
Der Vampirjäger sah kurz nach links und nach rechts. Er war alleine. Auch wenn es tagsüber hier nur so von Leuten wimmelte – um diese Uhrzeit war keine Menschenseele hier. Es war seltsam, so alleine an diesem Ort zu sein, der ganz offensichtlich für ein großes Publikum gedacht war. In der Nacht war alles wie verwandelt. Eine geheimnisvolle, bedrohliche Welt breitete sich um ihn herum aus. Es war eine Welt, in der Dirk van Kombast sich nicht auskannte, in die er nicht passte. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal hier gewesen war. Wenn überhaupt, dann musste es vor Jahren zusammen mit seiner Mutti gewesen sein. Damals, als die Welt noch in Ordnung war. Als der Luftraum über Bindburg noch sicher war.
Der Vampirjäger schob die Gedanken an vergangene, vampirlose Zeiten beiseite und spitzte die Ohren. Je länger er ruhig in der Finsternis stand und lauschte, desto mehr befremdliche Geräusche hörte er. Jemand kreischte, jemand jaulte, jemand fauchte. Unwillkürlich zog Dirk van Kombast den Kopf ein. Er musste zur Tat schreiten, und zwar schnell. Abermals sah er zu den baumelnden Schwestern.
Nur, wie?
Wettlauf auf
dem Longboard
H elene hielt sich an Ludos Hüften fest. Nervös schielte sie nach links und rechts, während sie auf dem Longboard durchs büchsenbodendunkle Bindburg rauschten. Helene liebte es, wenn ihr die kühle Nachtluft wie mit mächtigen dunklen Krakenarmen die langen blonden Haare zerzauste. Doch obwohl Ludo sein Bestes gab und sie auf dem Longboard so rasant durch die verlassenen Straßen fegten, dass sie sogar ab und zu die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten, wäre Helene lieber mit den Vampirschwestern über die Häuser geflogen. Es gab einfach nichts, was das Flugerlebnis mit Silvania und Daka übertraf.
Im Moment aber war an Fliegen nicht zu denken. Zum einen wusste Helene nicht, wo die beiden transsilvanischen Überfliegerinnen gerade baumelten, zum anderen rollte eine gewaltige Flutwelle auf die Stadt zu. Und wer weiß, vielleicht war es auch schon zu spät und Silvania und Daka konnten gar nicht mehr fliegen, weil sie sich zu Menschen verpuppt hatten. Doch ganz egal, ob ihre bissigen Freundinnen sich bereits in Menschen oder Vollblutvampire verwandelt hatten oder noch Halbvampire waren – sie mussten sie so schnell wie möglich finden, sonst würden sie von den Wassermassen mitgerissen und von den Fluten verschluckt werden wie zwei
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