Bissgeschick um Mitternacht
Altstadt, fegten im Zickzack über Bürgersteige und durch enge Gassen, rauschten durch modrige Unterführungen, vorbei an Wohnhäusern, Geschäften und Bürogebäuden, nahmen Abkürzungen durch Hinterhöfe und näherten sich unaufhaltsam ihrem neuen und, wie sie hofften, endgültigen Ziel: dem Zuchthaus von Bindburg.
Bald hatten sie die westliche Altstadt hinter sich gelassen. Jetzt mussten sie nur noch der Hauptstraße folgen, dann einmal scharf nach rechts auf die Querstraße schwenken, den Bindburger Berg hinauffahren und in die dritte Seitenstraße abbiegen.
Ludo ging in die Knie, als er die scharfe Rechtskurve ansteuerte. Er drehte den Oberkörper, verlagerte den Körperschwerpunkt und schon rauschten sie um die Kurve – und direkt auf ein Auto zu, das zur Hälfte auf dem Bürgersteig parkte.
»Autsch!«, schrie Ludo, der einen Hechtsprung machte, über das Autodach rutschte und mitten auf der Frontscheibe zum Liegen kam.
»Aaahaaahaaa!«, kreischte Helene, die alleine mit dem Longboard weiterfuhr, sich in letzter Sekunde am rechten Außenspiegel des Autos festhielt und so zum Stehen kam.
Das Longboard rollte unbemannt noch ein paar Meter über den Bürgersteig.
Helene gewann als Erste ihre Fassung wieder. Sie ließ den Außenspiegel los, den sie vollkommen verdreht hatte. »Ist dir was passiert?«
Ludo hob kurz den Kopf von der Frontscheibe. Er wackelte mit den Füßen, mit den Händen und mit den Ohren. »Nö.«
»Wer parkt denn auch sein Auto hier?!« Helene stemmte die Hände in die Hüfte und betrachtete den Wagen genauer, der unrechtmäßig auf dem Bürgersteig parkte. »Moment mal. Irgendwie kommt mir das Auto bekannt vor.«
»Also ich schließe gerade sehr enge Bekanntschaft«, sagte Ludo. Er hatte beide Arme und Beine von sich gestreckt und es sah aus, als würde er den silbernen Sportwagen umarmen.
»Ein silberner Sportwagen ...«, überlegte Helene laut und schritt um das Auto herum. »Wo habe ich den schon mal gesehen?«
Ludo presste die Stirn an die Frontscheibe. Vom Rückspiegel hing ein kleines goldenes Kreuz. Auf der Armatur auf der Fahrerseite lag ein Zettel. Ludo drehte den Kopf leicht, dann las er laut vor: »Dringender Medikamententransport. Pharmavertreter im Einsatz.« Ludo hob den Kopf, rutschte von der Frontscheibe auf die Motorhaube und in Helenes Arme.
»Dirk van Kombast!«, sagten Helene und Ludo gleichzeitig, nachdem Ludo wieder auf beiden Beinen stand.
»Was will er hier, mitten in der Nacht?«, wunderte sich Ludo.
»Keine Ahnung. Aber wo ein Vampirjäger ist, können Vampire auch nicht weit sein«, erwiderte Helene und drehte sich gleichzeitig mit Ludo um. Ihr Blick wanderte an einem hohen, eisernen Tor hinauf. Oben auf dem Tor stand in großen Buchstaben ›Bindburger Zoo‹.
Helenes Augen verengten sich zu Schlitzen. »Was macht ein Vampirjäger nachts im Zoo? Fledermäuse beobachten?«
»Nein, Halbvampire!« Ludos Augen leuchteten auf. »Der Zoo! Natürlich. Das ist es. Dort gibt es Bäume, ein Seitenarm der Bindau fließt durch den Zoo, in den Gehegen gibt es künstliche Felsen, es gibt jede Menge Gitter und es gibt ein Affen haus, ein Elefanten haus und ein Schildkröten haus. Wir müssen nur noch herausfinden, in oder vor welchem Haus Silvania und Daka hängen.«
»Das dürfte ganz einfach sein«, sagte Helene und rümpfte die Nase. »Wir folgen einfach diesem widerlichen Ginseng-Patschuli-Duft.«
Ludo warf einen Blick auf seine Uhr. »Und zwar ganz ganz schnell.«
Dreifaches Dilemma
D irk van Kombast hatte sich in der letzten halben Stunde nur dreimal kurz bewegt. Erst hatte er das Gewicht vom rechten auf das linke Bein verlagert. Dann hatte er ein kleines Parfümpröbchen aus der Jackeninnentasche geholt und sich die Ohrläppchen und Handgelenke mit seinem geliebten Ginseng-Patschuli-Duft benetzt. Der charmante Pharmavertreter hasste Schweißgeruch. Am schlimmsten war Angstschweiß. Und genau der drohte langsam bei ihm auszubrechen.
Danach hatte er das Parfümpröbchen weggesteckt, wieder die Zwille zur Hand genommen, sie mit einer Knoblauchzehe als Munition bestückt und abwechselnd auf Silvania, Dakaria und das schlafende Biest unter ihnen gerichtet.
Dem Vampirjäger war klar, dass er endlich etwas unternehmen musste. Er konnte nicht die ganze Nacht mit der Zwille im Anschlag vorm Gehege stehen. Wenn eins der Wesen im Gehege aufwachte, war es womöglich zu spät, zur Tat zu schreiten. Doch auf wen sollte er zuerst mit der Zwille zielen? Auf eine der
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