Bissige Spiele (German Edition)
eine unvergleichliche Ruhe und, was mir erst jetzt auffiel, der Turm wirkte friedlich auf mich. Als könnte man hier sein Dasein fristen, ohne dass einem jemals etwas Schlimmes widerfahren würde. Über Jahrhunderte hatte das Moos zahlreiche Plätze eingenommen und das steinerne Gemäuer in samtene Kissen verwandelt. An vielen Stellen schien das Gemäuer zu zerbröckeln, doch die Pflanzen und Mauerblümchen hielten den Verfall kontinuierlich auf, gaben ihm Halt und Zuversicht. Als ob sie persönlich etwas dagegen hätten, den Turm zerstört zu sehen, umschlangen und durch drangen sie ihn von allen Seiten. Selbst Wurzeln und Bäume hatten sich ihren Weg gebahnt und den Steinen Kraft und Halt verliehen.
Eines stand plötzlich für mich fest: Dieses bisher für mich unscheinbare Gemäuer, hatte seine unumstößliche Daseinsberechtigung.
Sara schien nicht so überrascht wie ich. Erwartungsvoll blieb sie neben Maureen stehen und wartete. Ich dagegen hatte ein riesiges Fragezeichen in meinem Kopf und konnte mit dieser Situation nicht das Geringste anfangen.
Wie konnte Sara nur immer wenn es um die kuriosesten Situationen ging so gelassen sein?
Ich hasste es, wie ein Idiot dazustehen und mit meiner eigenen Welt nicht zurechtzukommen. Es war absurd, dass meine Welt auf Sara immer wieder mehr als normal wirkte und mich auch nach Jahrhunderten noch verwirrte und schockierte. Maureen setzte sich als erste, und wir taten es ihr schweigend gleich. Irgendetwas sagte mir, Ruhe walten zu lassen und so gingen wir diesem Gefühl nach und warteten wortlos.
Ich hatte es zuvor nicht bemerkt, aber nun konnte ich erkennen, dass sich auch unter uns unzählige Arten von Moosen befanden. Es war der einzige Fleck auf diesem Hügel, auf den die Sonne sich einen Weg durch die Zweige bahnen konnte und diesen kleinen, friedlichen Platz neben dem steinernen Turm in eine Art Gebetteppich verwandelt hatte, der mich schlagartig an den Orient meiner Vampirkindheit erinnerte. Plötzlich näherten sich von überall um uns herum Schritte. Unzählige Schritte. Sie waren nicht eindeutig festzulegen und wenn ich es hätte genau sagen müssen, dann hätte ich vermutet, dass es die Schritte von allen Waldtieren rundherum sein mussten. Hufe in den unterschiedlichsten Varianten und Größen, Tatzen, Beine, Flügelpaare und kriechende Geräusche. Sie verwirrten meine Wahrnehmung, und ich hoffte, dass es hierfür eine plausible Erklärung gab und ich nicht am Ende doch völlig durchdrehte. Und dann waren die ersten Lebewesen durch das Dickicht zu erkennen, und ich war sehr erleichtert, weil mich meine Sinne nicht in eine falsche Richtung gelenkte hatten.
Es waren Tiere, zu viele, um sie alle eindeutig identifizieren zu können und unweigerlich musste ich an die Geschichte der Arche denken, idiotisch! Was hatte ich nur immer mit diesen Vergleichen? Konnte ich nicht einfach mal alles so nehmen, wie es letzten Endes war? Aber wie war es denn eigentlich? Wenn ich genauer hinsah, konnte ich deutlich erkennen, dass die Tiere unzählige kleine Narben besaßen. Ihre Körper waren übersät von Schnitten, die jedoch alle eindeutig verheilt waren und auch sonst nicht weiter den Eindruck erweckten, als ob sie darunter litten. Vielmehr schienen die Narben ein Teil von ihnen zu sein, ein notwendiges oder möglicherweise auch bereitwilliges Übel.
Ich bemühte mich, diesen unwirklichen Moment hin zu nehmen, denn offensichtlich hatte er nichts mit einem Märchen zu tun, sondern mit der nüchternen Realität, die mich umgab.
Die Schlange von Tieren mit Narben nahm kein Ende. Es mussten mittlerweile hunderte von Arten sein, die überall um uns herum an einem von ihnen ausgewählten Platz verharrten, wobei der Turm nicht ausgeschlossen wurde und damit zum Aussichtsturm zahlreicher Lebewesen wurde.
Obwohl kein Wort aus Saras Lippen zu hören war, sah ich ihr nun doch eine gewisse Verwunderung an, die ich trotzdem mehr als Bewunderung ansah, als etwas, was sie schockieren konnte.
Jäh wurden meine Beobachtungen von einem Geruch zerstreut, der intensiver war als alles andere, was ich mir je hätte vorstellen können. Er trug keine typischen Merkmale von Menschenblut, so lieblich und durchdringend es auch sein konnte. Selbst das jüngste Mädchen konnte einen solchen Geruch nicht übertreffen. Karussellartig schoss mein Blick durch die umliegenden Bäume, doch nichts bot sich, was diesem Geruch gerecht werden konnte, was ihn hätte erklären können, und ehrlich gesagt,
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