Bisswunden
draußen zu schwimmen, doch der Sog der Leichter würde mich wahrscheinlich unter Wasser und in die Schiffsschrauben ziehen.
Ich überlege, ob ich am Ufer entlang nach Norden rennen soll, weg von der Rampe, als hinter mir im Wald ein Handscheinwerfer aufflammt und das Ufer absucht. Es kann höchstens ein paar Sekunden dauern, bis er mich in meiner geduckten Haltung auf dem Sand gefunden hat.
Ohne nachzudenken schiebe ich den Beutel in meine Hosentasche, krieche zum Wasser und schlüpfe in den Strom wie eine Ratte, die ein sinkendes Schiff verlässt. Das Wasser ist kühl, doch gottlob nicht kalt, und es kühlt die Quaddeln von den Bullnesseln. Die Wellen sind allerdings ein Problem. Als ich mit sechzehn durch den Mississippi geschwommen bin, war das Wasser spiegelglatt. Jetzt werde ich hin und her geworfen wie von einer Brandung, und der Regen peitscht mir erbarmungslos ins Gesicht, während ich versuche, den Kopf über den Wellen zu halten.
Der Lichtkegel gleitet über die Stelle, wo ich eben noch gekauert habe, und verweilt für einen Moment, während die Strömung mich erfasst und nach Süden treibt. Ich bewege mich mit der Geschwindigkeit eines Joggers, und eine unwiderstehliche Kraft zieht mich immer weiter vom Ufer weg und in den Fluss hinaus.
Ich spüre keinen Boden unter mir, weil es an dieser Stelle keine Untiefen gibt. Dieser Teil der Insel bildet die Außenseite einer weiten Biegung im Mississippi, und hier trifft die volle Wucht der Strömung auf das Ufer, bevor sie nach Westen umgelenkt wird. Die erodierende Kraft des Wassers ist gewaltig. Wann immer es in diesem Winkel auf Land trifft, gräbt es in kürzester Zeit einen Kanal, der mehr als dreißig Meter tief ist. Verstärkt wird die Strömung noch durch die Tatsache, dass der Fluss an dieser Stelle schmaler und in eine Art Rinne gepresst wird.
Ich muss meine Schuhe loswerden. Und meine Jeans. In dieser reißenden Strömung sind beide tödlicher als Jesse Billups’ Gewehr. Ich greife nach unten, um meinen linken Schuh auszuziehen, als der Scheinwerfer mich auf einem Wellenkamm vollerfasst. Ich spüre oder sehe keinen Einschlag von einer Kugel, doch das surrende Peitschen dicht an meinem Ohr lässt mir das Herz bis zum Hals schlagen. Wer auch immer dieses Gewehr abfeuert, weiß ganz genau, was er tut. Ich bin ein guter Schütze, hat Jesse sich gebrüstet, als er mir von meinem Vater erzählt hat.
Ich reiße mir den Schuh vom Fuß und tauche, während ich ausatme, um den Auftrieb zu verringern, und gleichzeitig meine Gliedmaßen ausstrecke, damit die Strömung mich besser erfassen und schneller an der Insel vorbeitragen kann.
Als ich wieder an die Oberfläche komme, ist der Scheinwerfer verschwunden.
Ich löse die Knöpfe meiner Jeans und versuche mich aus ihnen zu schälen, doch sie sind selbst im trockenen Zustand ziemlich eng. Ich verfluche meine Eitelkeit, während ich wie ein Stein nach unten sinke und gegen die voll gesogene Baumwolle kämpfe, die an meinen Beinen klebt. Endlich habe ich das linke Bein frei, doch das andere will nicht. Ich strampele zurück zur Wasseroberfläche und sehe die Ursache. Ein Fischhaken von der Leine hat den Jeansstoff an meinen Oberschenkel geheftet. Zwei Spitzen des Dreifachhakens haben sich tief in mein Fleisch gegraben. Ich könnte versuchen, die Jeans aufzureißen, um den Haken freizubekommen, doch selbst wenn es mir gelingt, das nasse Baumwollgewebe zu zerreißen, kann ich mir das nicht leisten – nicht angesichts dessen, was mir vorschwebt.
Ich ziehe vorsichtig an dem mittleren Teil des Dreifachhakens, und Blut rinnt aus den Wunden. Fischhaken aus Fleisch zu lösen ist eine komplizierte Angelegenheit. Ich habe meinem Großvater dutzende Male dabei zugesehen. Manchmal schneidet er die Leine ab und schiebt den Haken weiter durch die Haut, bis die Spitze wieder zum Vorschein kommt, und manchmal schneidet er die Wunde mit einem Skalpell auf und nimmt den Haken auf dem gleichen Weg heraus, wie er hereingekommen ist. Beide Methoden erfordern Werkzeuge, die ich nicht habe.
Es ist also nur eine Frage des Schmerzes.
Mit den Fingern kann ich den dritten Haken nicht fest genug packen, um die beiden anderen herauszureißen, doch meine Tag Heuer hat ein Armband aus Stahl. Ich schiebe das Armband so über den dritten Haken, dass er in einer Aussparung zwischen den Gliedern Platz findet, und verdrehe den Unterarm so, dass ich ihn mit maximaler Kraft nach oben reißen kann. Wenn ich den Schmerz aushalte, müsste ich
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