Bisswunden
hinein, drücke ihn zusammen, um die Luft herauszupressen, verschließe ihn und stecke ihn in die Vordertasche meiner Jeans. Ich will losfahren, doch Louise hält mich am Arm. Ihr Blick ist verzweifelt.
»Ich weiß, dass Sie mir nicht alles gesagt haben«, sagt sie. »Ich weiß, dass Sie eine schlimme Geschichte mit sich herumschleppen. Aber ich weiß auch, dass kein Mensch nur gut oder nur böse ist. Und wenn Sie etwas Schlimmes über Luke herausfinden, dann will ich es nicht erfahren, okay?«
Ich wische mir den Regen aus den Augen und nicke.
»Die Zeit wird Ihre Wunden heilen«, sagt Louise. »Auch wenn sie sonst nichts Gutes zu Stande bringt.«
In mir steigt das unheimliche Gefühl auf, dass ich es nicht mehr bis zu meinem Wagen schaffen werde, wenn ich nicht bald beim Damm bin. Ich trete das rechte Pedal kräftig nach unten und kämpfe mich den Weg entlang, der durch den Wald zum Jagdcamp führt. Der Wind peitscht mir den Regen gegen die rechte Wange und ins Ohr, doch bald darauf passiere ich die Hütten am See. Die Veranden, die noch vor einer Stunde voller Menschen waren, sind jetzt nur noch von ein paar Hunden bevölkert. Ich bin wieder allein.
Als ich mich auf dem Weg zum Camp nach Süden wende, habe ich den Regen voll im Gesicht. Er zerrt an mir wie an einem Segel und versucht mich zum See zurückzudrängen. Ich beuge mich tief über den Lenker, um den Luftwiderstand zu verringern, während ich kraftvoll in die Pedale trete. Die Bankette ist an manchen Stellen bereits so schlammig, dass ich fast stürze, doch je weiter ich nach Süden komme, desto sandiger wird der Untergrund, und bald komme ich trotz des Wetters gut voran.
Die Welt unter den schwarzen Gewitterwolken ist grau und trostlos geworden. Vor mir sieht alles aus wie auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Die grauen Blockhäuser des Jagdcamps sind in den Schatten unter den Bäumen fast unsichtbar. Selbst das Gras hat seine Farbe verloren. Nur ein etwas hellerer Himmel tief im Westen verrät mir, dass die Sonne überhaupt noch da ist.
Bald müsste es nach links abgehen. Wenn nicht, komme ich in den südlichen Teil der Insel, eine hügelige, vonMoskitos verseuchte Gegend aus mit Gestrüpp überwucherten Dünen und schlammigen Senken, die ich schon immer gemieden habe, wenn es möglich war.
Voraus taucht das alte Flussbett im grauen Licht auf, und ich werde von Erleichterung durchflutet. Eine Meile den Weg hinauf, der sich am Ufer entlangzieht, liegt der Damm, der zu meinem Wagen führt. Ich will gerade auf den neuen Weg einbiegen, als von hinten Licht über mich hinwegstreift. Ich blicke über die Schulter.
Scheinwerfer.
Sie sind hoch genug über dem Boden, um zu einem Pick-up zu gehören, ähnlich dem, den Henry gefahren hat. Louise hat gesagt, sie würde mir Jesse hinterherschicken, sobald er sich gemeldet hätte.
Ich halte bei der Abzweigung an und warte.
Zu meiner Rechten schwenkt ein blauweißer Strahl auf das gegenüberliegende Ufer, dann wieder zurück nach Süden. Er ist viel stärker als die Scheinwerfer des Wagens, und für einen Augenblick bin ich verwirrt. Dann wird mir klar, dass es der Scheinwerfer eines Schubschiffes ist. Eine Viertelmeile von meiner gegenwärtigen Position entfernt mündet das alte Flussbett in den Hauptstrom des Mississippi. Es handelt sich offensichtlich um einen Schiffer, der einen Verband von Leichtern den Fluss hinaufsteuert und seine Position überprüft.
Der Fahrer des Pick-ups hat mich entdeckt. Vierzig Meter von mir entfernt schaltet er das Fernlicht ein. Der Regen prasselt fast horizontal durch den grellen Lichtstrahl. Ich hebe die Hand, um zu winken, dann erstarre ich.
Der Pick-up hat sein Tempo nicht verringert.
Meine Nackenhaare richten sich auf, und etwas, das Sean zu mir gesagt hat, bevor wir ein Liebespaar wurden, kommt mir in den Sinn. Wenn sich deine Nackenhaare aufrichten, dann sagen dir zweihundert Millionen Jahre Evolution, so schnell wie möglich von da zu verschwinden, wo du gerade bist …
Der Motor des Pick-ups brüllt auf, als der Fahrer nochweiter beschleunigt, während ich zur Seite in den Graben neben dem Weg springe. Ich komme gerade wieder auf die Beine, als Louises Fahrrad unter dem Truck zerquetscht wird und der Wagen vor mir her durch den Graben holpert. Meine einzige Hoffnung sind die Bäume, doch ich kann einem Pick-up nicht davonlaufen, nicht mal auf dreißig Meter.
Lautes Knirschen aus dem Fahrwerk gibt mir Hoffnung. Das Fahrrad scheint sich irgendwie unter dem Truck
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