Bisswunden
neben mir die Nacht, und dann hallt ein Wutschrei durch die Dunkelheit. Es ist eine Männerstimme, doch ich kann nicht verstehen, was er schreit oder ob es überhaupt zusammenhängende Worte sind.
Neue Hoffnung durchflutet mich, als ich eine ebene Sandfläche erreiche. Die Freude ist nur von kurzer Dauer. Plötzlich sehe ich vor mir eine Schnur, die in Oberschenkellänge quer zu meinem Weg gespannt ist. Es ist eine alte Fangleine, gespickt mit rostigen Fischhaken. Ich versuche noch, ihr auszuweichen, doch die Haken bohren sich in mein Fleisch, und ich segele der Länge nach hin. Es gelingt mir nicht ganz, einen Schmerzensschrei zu unterdrücken. Die Leine hat sich von der Wucht meines Anpralls losgerissen, doch die mit Widerhakenversehenen Fischhaken haben sich dabei tief und fest in meinen rechten Oberschenkel gebohrt.
Das Gewehr kracht erneut, und das Echo hallt über die Sandbank wie ein Kanonenschuss. Mein Verfolger hat den Schrei gehört und weiß jetzt, in welche Richtung er sich bewegen muss. Ich bete, dass er meinen Plan nicht durchschaut, doch wie stehen die Chancen, dass er nichts von der Rampe weiß? Ich bin fast sicher, dass der Mann hinter mir Jesse Billups ist – wer außer ihm wusste, wo er nach mir suchen musste?
Auf dem Kamm einer Sanddüne halte ich inne und sehe mich um. Vor mir erstreckt sich dunkel und in Regen gehüllt der Mississippi, das gegenüberliegende Ufer anderthalb Kilometer entfernt. In Deckung!, ruft eine warnende Stimme in meinem Kopf. Deine Silhouette zeichnet sich vor den Wolken ab!
Ich rutsche die Düne hinunter und renne am Ufer entlang nach Süden, wobei ich Zypressenwurzeln und Treibholz ausweiche. Dort ist die Rampe, vierzig Meter vor mir. Die breite Betonfläche neigt sich in steilem Winkel ins Wasser hinaus. Auf einem Trailer im Sand zwei Meter oberhalb des Wassers liegt ein Motorboot. Das Problem ist, es gibt überhaupt keine Deckung. Wenn ich dieses Boot zu Wasser lassen will, muss ich die Verriegelung am Trailer lösen, die Anhängergabel anheben und den Trailer mit dem Boot über die Rampe ins Wasser schieben. Wenn mir das gelingt, sinkt der Trailer in die Tiefe, und das Boot schwimmt frei. Ich muss in der starken Strömung des Mississippi hinterherkraulen, um es einzuholen, aber das macht mir nichts aus. Ich würde lieber mit einem Arm durch den verdammten Fluss schwimmen, als noch einen Meter zu Fuß über diese Insel zu flüchten.
Die Rampe sieht von hier aus verlassen aus, aber das heißt nichts. Wenn ich ungeschützt auf die freie Fläche trete, kann mich ein Zehnjähriger mit einem Gewehr niederschießen. Ich warte kauernd nah beim Ufer, während meine Sinne angespannt die Umgebung nach etwas Verdächtigem abtasten.
Irgendetwas stimmt nicht. Ich kann meinen Verfolger nicht mehr hören. Der Wind ist lauter hier am Ufer, aber irgendetwas müsste zu hören sein. Der Regen auf dem Wasser klingt fast wie das Prasseln auf einem Blechdach, nur die Tonlage ist höher, fast wie ein Zischen. Der südliche Wind, der den Strom hinauf bläst, staut die Wellen einen Meter hoch, und die Kämme sind schaumig. Ziemlich raues Wasser für ein kleines Motorboot.
Ich brauche eine Waffe. Einen Ast? Nicht besonders nützlich gegen ein Gewehr. Ein Stein? Das gleiche Problem. Was habe ich bei mir …?
Das Handy. Wenn es mir gelingt, mich nah genug an meinen Angreifer heranzuschleichen, um ihn zu erkennen, bevor er mich erschießt, kann ich der Polizei seinen Namen sagen – und ihm sagen, was ich gerade tue. Wenn er mich dann noch erschießt, muss er ein Idiot sein. Oder ein Irrer, kontert die Stimme in meinem Kopf.
Ich nehme den Beutel aus der Tasche und sehe das silberne Metall des Geräts, aber keine Displaybeleuchtung. Hat es in dem wasserdichten Beutel irgendwie einen Kurzschluss gegeben? Ich drücke durch das Plastik auf eine Taste, und das Display leuchtet auf. Meine Erleichterung ist von kurzer Dauer. Kein Netz, steht auf dem Display.
Scheiße! Ich muss weiter nach oben, das Ufer hinauf. Es gibt keine richtigen Erhebungen auf DeSalle Island, aber es gibt bessere Stellen als diese hier.
Ein blauer Lichtstrahl gleitet über mich hinweg, und mir stockt der Atem. Es ist wieder das Schubschiff, das seine Schubleichter den Fluss hinauftransportiert. Vielleicht gibt es aus dieser Richtung Hoffnung? Ich könnte der Besatzung ein Signal geben, indem ich mich in das Scheinwerferlicht stelle und mit den Armen rudere, doch das wäre glatter Selbstmord. Ich könnte versuchen, nach
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