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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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verfangen zu haben. Während der Fahrer noch versucht, sein Vehikel von dem darunter verkeilten Wrack zu befreien, erreiche ich die erste riesige Weide und springe dahinter in Deckung. Ich blicke nach hinten und sehe auf und ab hüpfende Scheinwerfer. Dann geht der Motor des Trucks schließlich aus. Die Scheinwerfer bleiben eingeschaltet; dahinter flammt die Innenbeleuchtung auf. Ich sehe eine Gestalt im Wagen – ein Mann, doch ich kann sein Gesicht wegen des Regens und der Entfernung nicht erkennen. Er stößt die Fahrertür auf und steht in dem Spalt zwischen Tür und Karosserie. Ich blinzle angestrengt, um sein Gesicht zu identifizieren, als es in der Dunkelheit aufblitzt und Splitter meine Wangen durchbohren. Erst dann erreicht der Knall der überschallschnellen Kugel mein Gehör.
    Ich renne los.

29
    P anik treibt mich orientierungslos zwischen den Bäumen hindurch. Ein einziger Gedanke brennt durch die Flut von Endorphinen hindurch in meinem Gehirn: weg von dem Mann im Truck. Ein zweiter Schuss folgt auf den ersten, und ein Blick über die Schulter verrät mir, dass der Schütze mir unter die Bäume gefolgt ist. Hin und wieder blitzt eine Taschenlampeauf, mit deren Hilfe er sich orientiert. Nach seinem vorsichtigen Voranschreiten zu urteilen will er mich nach Süden treiben, auf einen immer schmaleren Streifen Land hinaus. Es ist nur eine Frage der Zeit, bevor er mich am Ende der Insel in die Enge getrieben hat, auf einer nackten Sandbank mit anderthalb Kilometern rauschenden Wassers im Rücken.
    Ich muss einen Weg finden, um ihn herumzuschlüpfen, doch in diesem Gelände ist das fast unmöglich. Die Insel hier ist wie ein tropischer Dschungel. Die Weiden- und Pappelstämme geben zwar gute Deckung, doch es gibt einfach zu viel Unterholz, als dass ich lautlos vorankäme, selbst im Regen. Ich habe nur eine einzige andere Chance.
    Die Bootsrampe befindet sich im Westen der Insel, dem Hauptstrom des Mississippi zugewandt. Wenn ich den Schützen weit genug hinter mir lasse, finde ich vielleicht genug Zeit, das Fischerboot loszumachen, bevor er mich findet. Aber er ist mir zu dicht auf den Fersen. Ich muss ihn irgendwie langsamer machen. Aber wie? Ich habe keine Waffe. Während ich durch das Unterholz breche, steigt ein Bild vor meinem geistigen Auge auf: Bullnesseln. Bullnesseln sind eine grüne Rankenart, einen bis anderthalb Meter hoch, die vor tausenden kleiner Nadeln starren. Diese Nadeln injizieren ein schmerzhaftes Gift in jedes Tier, das die Pflanze berührt. Selbst Pferde bleiben stehen, wenn sie in Bullnesseln geraten, um nicht gegen weitere zu streifen. Bei Menschen rufen sie ein schmerzhaftes Brennen und Quaddeln hervor, und die Wirkung tritt augenblicklich ein. Die Südspitze von DeSalle Island ist überwuchert von Bullnesseln.
    Ich wende mich erneut nach Süden. Äste peitschen mir ins Gesicht, und Pfefferranken schlingen sich um meine Hosenbeine. Der Untergrund hebt und senkt sich in kurzen Abständen, und ich bete im Stillen, nicht auf eine giftige Cottonmouth zu treten, wenn ich durch die dunklen Pfützen platsche. Ich habe schon gesehen, wie sich fünfzig Mokassinschlangen gleichzeitig im Wasser einer austrocknenden Pfütze gewunden haben.
    Der Regen fällt unablässig, und das Geräusch meines Verfolgers, der gleich mir durch das Unterholz bricht, kommt allmählich näher. Schweiß strömt mir aus allen Poren, und mein Herz hämmert schmerzhaft gegen mein Brustbein. Das Freitauchen hält mich gut in Form, doch das Entsetzen schnürt mir die Brust zu, und der Alkoholentzug macht die Sache auch nicht gerade leichter.
    Ich werde langsamer, um mich zu orientieren, als das Gewehr erneut kracht und mein rechter Arm von Holzsplittern durchbohrt wird. Ich ducke mich tief und springe hastig zwischen zwei Pappelstämmen hindurch, dann krieche und haste ich auf allen vieren durch die Dunkelheit, bis meine Arme plötzlich wie Feuer brennen. Bullnesseln! Rings um mich herum ist ein ganzes Feld von diesem Zeug. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich eines Tages über den Schmerz und das Jucken freuen könnte, doch in diesem Augenblick bin ich beinahe ekstatisch.
    Dreißig Meter in das Nesselfeld hinein, dann biege ich nach rechts ab, in Richtung Bootsrampe. Bevor ich weitere zwanzig Meter zurückgelegt habe, dringt von unter den Bäumen lautes Fluchen zu mir. Mit einem gepressten Grinsen auf den Lippen springe ich auf und renne in Richtung der Westseite der Insel. Ein Scheinwerferstrahl durchschneidet dicht

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