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Bist du mein Kind? (German Edition)

Bist du mein Kind? (German Edition)

Titel: Bist du mein Kind? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilda Laske
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Warten, bis er diese dann von hinten nach vorne in den Mund schiebt. Warten, bis er bereit ist, diese Worte auch auszuspucken. Da, öffnet sich nicht sein Mund? Nein, es sah nur so aus. Jetzt aber, er lehnt sich zurück. Und wahrhaftig, er fängt an zu sprechen:
    „Letztendlich ist es schwierig. Wenn wir dieses Kind aufnehmen, darf es nicht zu spüren bekommen, welche gemischten Gefühle wir dabei haben. Wir müssen ein fremdes Kind, das so weit von zuhause weg ist mit offenen Armen und reinem Herzen empfangen, sonst können wir es ganz lassen“.
    Er schließt den Mund, beugt sich wieder vor und wir wissen, dass nichts mehr kommt.
    Ich bin baff. Recht hat er. Und wie immer, mache ich mich zu seinem Sprachrohr und übersetze den Kindern, wie er das gemeint hat.
    „Kannst du, Leon, einen Jungen hier aufnehmen und wie einen Gast in unserer Familie begrüßen, obwohl du nicht nach Frankreich fahren darfst? Ihm unser Land und unser Leben zeigen, ohne irgendwann genervt zu sein, dass du jemanden wie eine Klette an dir hängen hast, der dich aber nicht in Frankreich aufnehmen konnte, selbst wenn wir dich ziehen ließen?“
    „Woher soll ich das wissen? Ich habe es ja noch nie versucht. Ich weiß doch nicht wie das ist, wenn man jemanden hier hat, den man nicht kennt. Aber, Mama, kannst du das? Oder lässt du ihn unbewusst spüren, dass er Franzose ist? Stell dir vor, ich wäre alleine in Frankreich und die würden mich eigentlich nicht mögen und unterschwellig würde ich das auch bemerken? Wäre das nicht schrecklich für dein Kind, also mich? Allein in einem fremden Land, bei Menschen, die nicht aufrichtig herzlich sein können?“
    Uff, großer kluger Junge. Das hat gesessen.

    „Liebling, ich bin mir gar nicht sicher, ob ich so ein Experiment durchstehe. Deshalb halte ich es für besser, wenn wir ablehnen. Dann sind wir auf der sicheren Seite“.
    „Ja, Mamilein, die sichere Seite, die ist ganz deins. Alles muss bei dir auf der sicheren Seite sein, nur weil einmal nichts sicher war. So lebst du bis an dein Lebensende. Musst aber auch mal unsicher sein und dich auf etwas einlassen. Sonst lebst du wie jemand, der schon tot ist, es aber nur noch nicht gemerkt hat.“
    Große Worte eines großen Jungen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Wolfgang nickt. Timo grinst spitzbübisch und sagt:
    „Denk‘ an meine Hausaufgaben und die gute Note. So schlimm wird der nicht sein. Wir sind zu viert und er ist alleine. Da sind genug Leute hier, die sich um ihn kümmern können, wenn du mal nicht kannst. Mama, lass uns mal ein Abenteuer erleben. Ein Abenteuer zuhause. Find ich sehr bequem“.
    Ach Kinder, ihr seid einfach wunderbar. Trotzdem kann ich nicht einfach ja sagen. Ein kleiner Knoten ist schon wieder da.
    „Wolfgang, sag wie würdest du entscheiden? Sollen wir oder sollen wir nicht? Ich weiß es nicht. Ich tendiere zu nein“.
    Und wieder: das Ritual setzt ein. Worte sammeln, nach vorne schieben, nochmal ordentlich drauf herumkauen und langsam Stück für Stuck raus damit. Retardierte Sprechweise halt.

    „Ich denke ja. Schließen wir Frieden mit Frankreich“.
    Mund zu. Keine Chance auf mehr.
    Fragend sehe ich meine beiden Jungs an.
    Leon? Er nickt bedächtig mit dem Kopf.
    „Lass es uns versuchen Mama. Papa hat Recht.“
    Timo? Er nickt mit dem Kopf. Schneller und heftiger als Leon.
    „Denk an meine Hausaufgaben, kleine Mutti“.

    Ich kann nicht.

    „Gebt mir noch etwas Zeit. Ich kann das nicht hier und jetzt entscheiden. Erst mal muss ich eine Nacht darüber schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag“.

    Am nächsten Morgen wache ich auf. Ich habe sehr schlecht geschlafen und die ganze Nacht versucht, eine Entscheidung zu verdrängen. Es ist wieder wie immer: ich bin diejenige, die entscheiden muss, was wir tun, weil ich mich um diesen Jungen kümmern muss. Einen Jungen aus Frankreich. Aus dem Land, dass ich hasse, dessen Sprache ich nicht mehr weiter gelernt habe, dessen Boden ich nie mehr betreten will. Aber kann ich nein sagen? Und schon wieder meine Kinder keine Erfahrungen machen lassen? Oft stehen sie ein wenig abseits, weil ich so gerne auf „der sicheren Seite“ bin, wie Leon schon richtig erkannt hat.
    Ich wälze mich hin und her. Wolfgang ist schon im Bad. Ich muss auch ‘raus aus dem Bett. Die Kinder müssen zur Schule und ich muss arbeiten. Letztendlich war es gut, dass ich nach unserem Umzug hierher wieder angefangen habe, als Pharmareferentin zu arbeiten. Es lenkt ab und ich habe gar keine Zeit

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