Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bist du mein Kind? (German Edition)

Bist du mein Kind? (German Edition)

Titel: Bist du mein Kind? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilda Laske
Vom Netzwerk:
Frau Dietmar, sind Sie noch dran?“
    „Ja, ich, ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Das ist ja entsetzlich. Wie halten Sie das aus?“
    „Gar nicht. Aber das Leben geht weiter und wir hatten noch zwei Kinder, denen wir irgendwie gerecht werden mussten. Unsere Ehe wäre beinahe zerbrochen, wir haben alle einen Schaden davongetragen aber das alles zählt nicht. Unseren Kummer haben wir tief in unserem Herzen vergraben, um unseren Kindern ein halbwegs normales Leben zu bieten“.
    „Jetzt verstehe ich auch, warum Sie Ihre Kinder so behüten. Es ist manchmal etwas seltsam angekommen, dass Sie und Ihr Mann so sehr auf Ihre Kinder aufpassen, aber es verwundert mich nicht mehr. Oh mein Gott, es tut mir so leid, was Ihnen passiert ist.“
    „Na, Gott hat mit Sicherheit nichts damit zu tun. Sonst wäre Maxi sicher noch bei uns“.
    „Das ist möglich. Ich kann Ihnen nur versichern, dass wir besonders auf Leon aufpassen würden, denn schließlich fahren ja auch drei Lehrer mit.“
    „Nein, ist schon okay. Er hat sich in sein Schicksal gefügt und bleibt hier. Ich sagte Ihnen ja, dass wir alle einen Schaden haben. Leon ist halt zu vernünftig für sein Alter.“
    „Ja, das stimmt. Das habe ich auch schon bemerkt. Aber etwas anderes, Frau Reiter. Es gibt in der französischen Klasse zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, die können keinen Schüler aufnehmen, würden aber trotzdem gerne nach Deutschland kommen. Wären Sie denn bereit, eins von den Kindern zu beherbergen? In dem Fall den Jungen? Wir suchen händeringend nach Familien, die dazu bereit sind. In Ihrem besonderen Fall würde ich auch verstehen, wenn sie nein sagen“.

    Ich muss schlucken. Der Knoten. Wir sollen einen Franzosen aufnehmen? Einen Mensch aus dem Land, in dem unser Sohn verschwunden ist?
    Ich brauche Zeit. Das kann und will ich nicht ohne Wolfgang entscheiden.
    „Geben Sie mir etwas Bedenkzeit. Ich muss das erst mit meiner Familie besprechen, bevor ich eine Entscheidung treffen kann. Und ich weiß auch nicht, ob ich dazu bereit bin. Ich muss darüber nachdenken und in mich hinein hören. Ich ruf Sie in ein paar Tagen wieder an“.

    „Ist in Ordnung. Und Frau Reiter, es tut mir so unendlich leid, was Ihnen passiert ist. Entsetzlich.“
    „Danke. Ich melde mich“.
    Nachdenklich lege ich auf.

    Beim Abendessen diskutieren wir heftig. Timo findet es total gut. Er ist das erste Jahr auf dem Gymnasium und hat direkt mit Englisch und Französisch angefangen.
    „Mama, ich kann nicht viel Französisch. Aber stell dir vor, ich könnte schon mal mit einem echten Franzosen üben. Dann könnte ich mehr, als die anderen in der Klasse. Das finde ich total cool. Außerdem könnte ich dann die Hausaufgaben von dem machen lassen. Ha, das will ich“.
    Er ist nach wie vor unser Sonnenscheinkind und immer gut gelaunt. Schnell hat er praktische Lösungen zur Hand, wenn es darum geht, seine Ziele durchzusetzen. So wie jetzt eben. Aber nachts, da plagen ihn schreckliche Albträume. Fast jede Nacht, seit er ungefähr drei Jahre alt ist, kommt er in Panik zu uns gelaufen und zittert am ganzen Körper vor Angst. Jahrelang hat er deswegen bei mir im Bett geschlafen und Wolfgang ist abends in Timos Zimmer gegangen. Seit ungefähr drei Monaten will er aber in seinem eigenen Zimmer schlafen. Trotzdem kommt er fast jede Nacht. Wir haben eine Psychologin aufgesucht, aber das hat nicht sehr viel verbessert. Wahrscheinlich ist das sein Schaden. In seinem damals so kurzen Leben hat er wohl mehr empfunden von dem, was wir erlebt haben, als wir dachten.
    Wolfgang ist nachdenklich. Er kann nicht spontan. Sein häufigster Satz: „Spontan kann ich nicht. Und mal eben schon gar nicht.“
    Das ist allerdings nicht sein Schaden, so war er schon immer.
    Er spricht so gut wie gar nicht mehr. Ein Vielsprecher war er noch nie. Aber er wägt heute genau ab, welche Worte er wählt und es dauert immer ewig, bis er sich zu einem Thema äußert. Er kann 10 Stunden mit uns nach Italien fahren, ohne ein Wort zu reden. Bine sagt immer, dass er wahrscheinlich nur hundert Wörter am Tag hat und die muss er sich einteilen. Dann lachen wir, aber es stimmt. Was nicht unbedingt nötig ist, braucht nicht gesagt zu werden. Zwischen uns hat sich ein Schweigen ausgebreitet, von dem ich manchmal glaube, dass ich es nicht mehr aushalten kann. Aber so ist es nun mal.
    Also ruhen unsere Blicke auf ihm und wir warten. Warten, bis er seine Worte in der hintersten Gehirnkammer zusammen gesucht hat.

Weitere Kostenlose Bücher