Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitte Einzelzimmer mit Bad

Bitte Einzelzimmer mit Bad

Titel: Bitte Einzelzimmer mit Bad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
lediglich von Lilo bezogen und selbst keinen Versuch unternommen hatte, auf eigene Faust Erkundigungen einzuholen. Im übrigen wäre das zwecklos gewesen. Sie hatte ja nicht mal einen Carabinieri stoppen können, der rücksichtslos auf ihren Fuß getreten war. Nicht einmal entschuldigt hatte sich dieser Flegel. »No competento!« hatte er auf ihre schüchtern vorgebrachte Frage geantwortet. Offenbar war hier niemand für irgend etwas zuständig.
    »Wir fahren jetzt ganz einfach zu den Schweizern hinüber!« entschied Florian. »Da sitzen zwar auch lauter Italiener, die wahrscheinlich aus Sympathie mitstreiken, aber wenigstens dürfen sie das nicht offiziell tun.«
    Die Schweizer Beamten zeigten sich entgegenkommend und hilfsbereit, aber wo nun genau der Zug stehengeblieben war, wußten sie auch nicht. Die Vermutungen reichten von »Abstellgleis« bis »möglicherweise noch in Zürich«, vielleicht auch irgendwo dazwischen, man müsse schließlich die Strekke für den inländischen Verkehr freihalten, und die Herrschaften brauchten sich auch keine Sorgen zu machen, es käme schon alles in Ordnung, man habe die Sache bestens organisiert.
    Florian fragte sich skeptisch, worin diese Organisation wohl bestehen mochte, wahrscheinlich in der kostenlosen Verteilung von Tee und Suppe, wie bei allen größeren Katastrophen üblich – dank der hochsommerlichen Temperaturen erübrigte sich wenigstens die Spende von Wolldecken –, aber die Schweizer schienen mehr auf Lawinen- oder Seilbahnunglücke spezialisiert zu sein als auf Streiks. Soweit er informiert war, kannten sie dieses Wort ohnehin nur aus Zeitungen.
    Während er noch überlegte, ob überhaupt, und wenn ja, wo die Suche nach den verschwundenen Schmetterlingen fortgesetzt werden sollte, tippte ihm jemand auf die Schulter. »Suchen Sie auch den Sonderzug?«
    Tinchen nickte eifrig. »Wissen Sie etwas?« Sie hatte den blonden Mann mit dem Adlerprofil schon früher ein paarmal gesehen, meist auf dem Busparkplatz in Nizza, wo er genau wie sie als Leithammel einer Touristenherde eingesetzt war, aber sie hatte keine Ahnung, zu welcher Firma er gehörte.
    »Van Lommel«, stellte er sich vor, »Reiseleiter aus Amsterdam.« Er sprach ausgezeichnet deutsch, hatte bessere Beziehungen als Tinchen und folglich auch bessere Informationen, aber er hatte kein Auto. Nach den Auskünften, die er aus nicht näher erläuterten Quellen bezogen hatte, sollte der Sonderzug sechs Kilometer landeinwärts auf einer Nebenstrecke stehen. »Würden Sie so freundlich sein und mich mitnehmen?«
    Florian war so freundlich. Er bot dem rettenden Engel sogar seine letzte Zigarette an und war heilfroh, als dieser ablehnte. »Das Rauchen habe ich mir vor zwei Jahren abgewöhnt.«
    »Hab’ ich auch schon versucht, aber es ging nicht. In einer Redaktion gilt Rauchen nicht als Laster, es gehört vielmehr zum Selbsterhaltungstrieb. Ohne blauen Dunst läuft da nichts.« Nachdenklich betrachtete er den Glimmstengel. »Normalerweise verfolgt die Natur ja mit allem einen bestimmten Zweck, aber was, zum Teufel, hatte sie bloß mit dem Tabak vor?«
    Abseits der überfüllten Durchgangsstraße wurde der Suchtrupp endlich fündig. Auf einem schon seit Jahren stillgelegten Bahnhof stand der Zug und wirkte in dieser ländlichen Umgebung sehr artfremd. Er war umringt von nahezu allen Bewohnern dieses Ortes, die den hilflos Gestrandeten kuhwarme Milch anboten, Selbstgebackenes und Würste aus dem eigenen Rauchfang: Daß man sich diese Hilfsbereitschaft angemessen bezahlen ließ, war nur natürlich. Bekanntlich beziehen die Eidgenossen den größten Teil ihrer Einkünfte aus ihren lila Kühen und dem Fremdenverkehr, so daß man es niemandem verdenken konnte, wenn er die unerwartete Touristeninvasion als Geschenk des Himmels betrachtete und eine spontane Sympathie für die italienischen Bahnbeamten empfand.
    Rund um die abgestellten Waggons sah es aus wie auf einem Open-air-Festival der Beatles. Mehr oder weniger bekleidet lagerten Pärchen auf Decken oder schnell aufgeblasenen Luftmatratzen mitten zwischen Butterblumen, gleichermaßen bestaunt von Dorfkindern wie von glotzenden Kühen. Über einem Lagerfeuer brodelte Teewasser, an einem zweiten versuchte jemand, auf Aluminiumfolie Spiegeleier zu braten. Ein Jüngling mit Knopf im Ohr malträtierte seine Gitarre; ein anderer spielte Mundharmonika. Zusammen klang das wie mißlungene Kompositionsversuche von Stockhausen. Die Stimmung schien jedenfalls prächtig zu

Weitere Kostenlose Bücher