Bitter Lemon - Thriller
ist der Schlüssel, der uns weiterbringt. Kümmern Sie sich darum!«
»Gleich morgen früh.«
»Weiter!«
»David schaffte, wenn auch mit Verspätung, mit 20 Jahren, das Abitur, jobbte eine Weile in der Spedition, trampte eine Weile durch Europa und bewarb sich schließlich bei der Polizei … sehr zum Leidwesen seines Onkels übrigens.«
»Wieso zum Leidwesen seines Onkels?«
»Felix Manthey hatte keine hohe Meinung vom Staat und seinen Exekutivorganen. Trotz der Androhung von Beugehaft weigerte er sich zum Beispiel, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, als es um die Zerschlagung der Eigelstein-Gang ging. Davon profitierte übrigens auch Zoran Jerkov. Dieser Felix Manthey war ein Linker. Ein Anarchist. So bezeichnete er sich selbst. Auch seine Spedition verstand er als soziales Projekt, beschäftigte dort die seltsamsten Leute, die er von der Straße aufgabelte. Kein Wunder, dass er mit der Firma nie auf einen grünen Zweig kam.«
»Jemand, der seinen ethischen Überzeugungen treu bleibt, ist Ihnen wohl suspekt, nicht wahr, Deckert?«
Lars Deckert starrte schweigend in seine Papiere und fragte sich, warum Kern ausgerechnet ihn für diese Mission ausgesucht hatte. Und warum er sich darauf eingelassen hatte.
»Machen Sie weiter, Deckert.«
»Die Ausbildung bei der Polizei schloss David Manthey überraschend als Jahrgangsbester ab. Nach verschiedenen Stationen in Nordrhein-Westfalen stieß er schließlich zum MEK in Düsseldorf. Ausbildung zum Nahkampfspezialisten. Stock, Messer, Kurzwaffe. Im Ruhrgebiet arbeitete er anschließend als verdeckter Ermittler bei der Drogenfahndung. Seine spektakulären Einsatzerfolge und sein enormes Fachwissen ebneten ihm schließlich den Weg zum Bundeskriminalamt …«
»Ihre Truppe, Deckert. Und Kriminalhauptkommissar, wie Sie. Und Sie sind ihm tatsächlich nie begegnet?« Uwe Kern sprach nach wie vor mit dem Fenster.
»Nein. Kein Wunder. Manthey ist acht Jahre älter als ich. Und ich bin erst vor anderthalb Jahren nach Wiesbaden gekommen, nachdem ich zuvor beim Landeskriminalamt Berlin …«
»Weiter, Deckert. Wir haben nicht ewig Zeit.«
»Manthey ging dann als BKA-Verbindungsmann ins Ausland. Zunächst für kurze Zeit nach Amsterdam und nach Sevilla. Er galt als besonders sprachbegabt, und in den beiden Städten kannte er sich bekanntlich aus. 1997 ging er für vier Jahre nach Bangkok. Nach einem zweijährigen Zwischenstopp in Wiesbaden schickte ihn das Bundeskriminalamt für zwei Jahre nach Washington. Als BKA-Kontaktmann zum FBI und zum ATF.«
»Steile Karriere. Weckt das Ihren Neid, Deckert?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Nur eine Frage. Sie müssen die Frage nicht beantworten, wenn Sie nicht wollen … also nicht. Machen wir weiter. Ich wette, im Lauf dieser Zeit setzte bei Manthey schon die emotionale Distanzierung ein. Während andere angesichts einer solch steilen Karriere von morgens bis abends jubilieren und stolz ihre Visitenkarte betrachten würden, verlor er zunehmend seinen Idealismus und seinen Enthusiasmus. Denn er begriff vermutlich ziemlich schnell, wie das System funktioniert, warum die Großen, die Drahtzieher, die Bosse immer wieder davonkommen, und wie die Politik über das bewilligte Budget die Aufklärungsrate steuert und damit die offizielle Statistik in Bezug auf Drogen und Organisiertes Verbrechen bewusst manipuliert. Den moralischen Rest gab ihm dann die Zeit in Washington, als er aus nächster Nähe die Politik der Bush-Regierung studieren konnte, wie sie die verbündeten Warlords der Nordallianz in Afghanistan gewähren ließen, die das Kriegsland schon während der ersten Jahre der US-Besatzung mit ihren Schlafmohnplantagen in Windeseile wieder zum Weltmarktführer im Heroingeschäft machten. Das ist große Politik, Deckert: Die amerikanische Regierung schützte und unterstützte Leute, die amerikanischen Kindern in Detroit, Chicago und anderswo den Tod auf Raten brachten. Und Manthey hatte es begriffen. So trug die Erziehung des anarchistischen Onkels also doch noch Früchte: Recht ist für David Manthey nicht etwa, was der Staat vorgibt, sondern was ihm sein Gewissen sagt.«
»Sind das Ihre persönlichen Mutmaßungen? Ich kann das nicht so deutlich aus meinen Quellen herauslesen.«
»Ich habe meine eigenen Quellen, Deckert.«
»Vielleicht wäre es im Interesse der Mission effizienter, wenn wir unsere Quellen abgleichen …«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Dieses Vertrauen müssen Sie sich nämlich erst noch verdienen, Deckert.
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