Bitter Lemon - Thriller
Mantheys Küche auf. Eine Woche später kehrt der Onkel mit David Manthey zurück. Der Junge springt freudig erregt aus dem Auto, rennt über den Hof, die Treppe hinauf, in die Küche, will seine Mutter begrüßen …«
»… und findet die Leiche, die noch immer an dem Strick hängt. Ausgestreckte Zunge. Weit aufgerissene Augen. Außerdem hat der Verwesungsprozess längst eingesetzt. Das Bild wird er nie wieder los. Es wird ihn sein Leben lang verfolgen. Ein schweres Trauma. Das Schlimmste, was einem Kind passieren kann. Er wird sich schuldig gefühlt haben. Schuld am Tod der Mutter. Verantwortlich für den Suizid. Kinder fühlen sich immer verantwortlich für das Schicksal ihrer Eltern. Wie kann ein Kind mit dieser Last leben? Deckert, ist Ihnen jetzt klar, warum er die Zusammenarbeit mit uns abgelehnt hat, aber dennoch Zoran Jerkov retten muss? Die Freundschaft ist zwar vor mehr als 20 Jahren zerbrochen, aber Manthey fühlt sich nun wieder für Jerkov verantwortlich. Dafür haben wir gesorgt. Manthey hat zwar vermutlich noch keinen blassen Schimmer, was Jerkov im Schilde führt, aber er spürt ganz genau, dass Jerkov aufs Ganze geht, dass er ein gefährliches Spiel spielt. Ein Spiel auf Leben und Tod. Und noch etwas lehrt uns diese eigenartige Biografie: David Manthey musste schon als kleines Kind sehr feine Instinkte entwickeln, um zu überleben. Ganz so wie ein Tier im Dschungel.«
Durch die Turiner Straße raste ein Rettungswagen in Richtung Norden. Das Gellen der Sirene schwoll bedrohlich an, kaum gedämpft vom Isolierglas der Fenster im neunten Stock. Das Gellen verharrte eine Weile im Trichter der kreuzenden Straßen und erstarb schließlich in den Häuserschluchten.
»Machen Sie weiter.«
»David lebte nun bei seinem Onkel Felix Manthey und dessen Lebensgefährten, diesem Trompeter. Zum Zeitpunkt des Todes von Elke Manthey war Günther Oschatz mit seiner Band auf Europatournee gewesen. Felix Manthey betrieb im Stavenhof bis zu seinem Tod ein kleines Speditionsunternehmen für Umzüge, Haushaltsauflösungen und Entrümpelungen. Das Unternehmen wurde dann geschlossen, weil es ohnehin kurz vor der Pleite stand. Sein Lebensgefährte erbte das Haus und das Grundstück, David Manthey bekam die Finca auf Formentera. Oschatz lebt noch heute mehr schlecht als recht von seiner Musik. Er gibt Kurse in dieser Jazz-Schule in der Torburg am Eigelstein.«
»Es heißt, dass homosexuelle Lebensgemeinschaften oft ähnliche Rollenverteilungen vorweisen wie heterosexuelle Paare. Offenbar übernahm der Onkel die männliche Vaterrolle, während dieser Oschatz die weibliche Mutterrolle einnahm: gütig, verständnisvoll, bedingungslos liebend. Erstmals in seinem Leben hatte David Manthey also einen Vater und eine Mutter.«
»Mit vierzehn Jahren.«
»Ganz schön spät. Zum ersten Mal in seinem Leben erfuhr der Junge so etwas wie Kontinuität und Sicherheit. Haben wir diesen Oschatz unter Beobachtung?«
»Selbstverständlich.«
»So? Wo ist er denn gerade?«
»Auf der Bühne. Er gibt zur Stunde mit seinem Quartett ein Konzert im Stadtgarten, dem Jazz-Club an der Venloer Straße. Unsere Leute sind im Publikum verteilt. Keine Sorge. Wir observieren ihn ab sofort rund um die Uhr.«
»Verlieren Sie ihn nicht. Günther Oschatz ist David Mantheys Achillesferse. Er muss ihn unter allen Umständen beschützen, sonst bleibt von seinem Leben nichts als ein Scherbenhaufen. Oschatz ist der letzte Überlebende seiner Familie. Wir werden ihm dabei helfen, dass die Gegenseite nicht an diesen Trompeter herankommt. Auch aus eigenem Interesse. Denn wenn Manthey Probleme macht, wenn er nicht in die Richtung marschiert, die wir uns erhoffen, dann werden wir uns diesen Oschatz greifen und als Pfand benutzen. Weiter!«
»Seinem Onkel Felix hat er es zu verdanken, dass er nicht wie so viele andere seiner neuen Freunde im Sumpf aus Drogen und Verbrechen versank und schließlich den Weg aus dieser berüchtigten Eigelsteiner Jugend-Gang fand. Dafür opferte der Onkel sogar sein geliebtes Sozialprojekt, dieses Basketball-Team, das Zoran Jerkov zunehmend als Rekrutierungszentrale für seine Gang missbraucht hatte.«
»Was wissen wir konkret über das Ende der Freundschaft?«
»Leider so gut wie nichts.«
Uwe Kern schwang sich vom Bett, mit einer Leichtigkeit und Geschwindigkeit, die nicht zu einem Vierundsechzigjährigen passte, trat ans Fenster und schob den Vorhang beiseite.
»Deckert, ich wette, die Ursache für den Bruch der Freundschaft
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