Bitter Lemon - Thriller
Davids Geburt gerade mal 21 Jahre alt, als Studentin der Soziologie an der FU Berlin eingeschrieben, laut ärztlichem Attest manisch-depressiv und außerdem alkoholkrank. Mehrere psychiatrische Behandlungen, die sie aber stets nach kurzer Zeit abbrach. Elke Mantheys Eltern waren drei Jahre vor der Geburt des Enkels bei einem Verkehrsunfall in Köln gestorben. Die nun folgende Kindheitsgeschichte des David Manthey mutet etwas bizarr an, wenn ich das so formulieren darf …«
»Ungewöhnliche Menschen haben mitunter ungewöhnliche Kindheiten. Außerdem: Wer ohne Vater und mit einer manisch-depressiven Alkoholikerin aufwächst, dessen Kindheit verläuft wohl zwangsläufig bizarr. Meinen Sie nicht, Deckert?«
»Selbstverständlich. Der Junge wurde …«
»Wie sind Sie aufgewachsen, Deckert?«
»Ich? Als drittes von vier Kindern auf einem Bauernhof in der Nähe von Bielefeld. Meine Eltern …«
»Interessant. Machen Sie mit Manthey weiter!«
»Der Junge wurde angeblich … mit dieser Geschichte kokettierte Davids Mutter damals wohl gerne … in der Endphase der berühmt-berüchtigten Kommune I in einem ehemaligen Fabrikgebäude im zweiten Stock des Hinterhauses der Stephanstraße 60 in Berlin-Moabit gezeugt, wo die Mutter tatsächlich … dafür haben wir Belege … die letzten Monate bis zur Auflösung der Kommune I im November 1969 gelegentlich gewohnt hatte.«
»Kein Wunder, dass die Vaterschaft nicht geklärt werden konnte. Da war doch noch was mit diesen Vermutungen?«
»Gegenüber ihrem heranwachsenden Sohn prahlte sie später gern mit ihrem abwechslungsreichen sexuellen Vorleben: Vielleicht heiße sein Vater ja Rainer Langhans, vielleicht Fritz Teufel, vielleicht auch Mick Jagger.«
»Vermutlich hieß der Erzeuger Jörg oder Ludger oder Gerhard, war ein kleiner, namenloser Mitläufer in der Szene und ist heute Studiendirektor an einem nordhessischen Gymnasium.«
»Weiter?«
»Weiter.«
»David Manthey hatte in diesen prägenden frühen Jahren nicht gerade das, was die Pädagogen eine behütete Kindheit in einem harmonischen Bezugssystem nennen. Alle paar Monate zog die Mutter mit dem Jungen um, von WG zu WG.«
»Vermutlich stand der Kleine ständig der Weltrevolution im Weg. Ich sehe das Bild deutlich vor mir: Ein Kind spielt auf dem Fußboden der WG-Küche, während rundherum ein Dutzend Erwachsener über Politik schwadroniert.«
»Wir haben im Bundeskriminalamt eine Akte über Elke Manthey. Sie gehörte zeitweise zum Unterstützerkreis der RAF. Keine große Sachen. Nur Handlangerdienste. Sie füllte die Kühlschränke in frisch angemieteten, noch leer stehenden konspirativen Wohnungen, sie kaufte Klamotten, Perücken, Schminke. Sie gehörte nicht zum inneren Kreis. Man traute ihr nicht. Wegen ihrer psychischen Labilität. Sie wusste wahrscheinlich nicht einmal, wer anschließend in den Wohnungen untertauchte.«
»Aber es gab ihrem kümmerlichen Leben einen Sinn. Was ist für Sie der Sinn des Lebens, Deckert?«
Lars Deckert ignorierte die Bemerkung. Erstmals beschlichen ihn Zweifel, über wen Uwe Kern Neues erfahren wollte.
»1978 wendet sich Elke Manthey von der Revolution ab und der Bhagwan-Sekte zu. Auch der achtjährige David ist nun ein Sannyasin, er trägt nur noch rote beziehungsweise orangefarbene Kleidung und natürlich die Mala, jene Halskette mit den 108 Holzkugeln und dem Amulett des Sektenführers …«
»Bhagwan. Der Gesegnete. Ein großartiger Verführer. Vielleicht noch talentierter als Adolf Hitler. Doch am Ende scheitern sie alle, die großen Verführer der Menschheit. Warum scheitern sie alle? Eine interessante Frage. Wer sie beantworten kann, trägt vielleicht die Weltmacht in Händen.«
»Elke Manthey heißt jetzt Ma Dhyan Shama, und der kleine David heißt Swami Satyananda. Mutter und Sohn ziehen in den Amsterdamer Ashram. Als die Mutter 1983 nach Oregon geht, in die neue Weltzentrale der Sekte, gibt sie David in ein Kinderheim der Sannyasins im Süden Spaniens. Ein Jahr später, 1984, verlässt Elke Manthey die Zentrale in Oregon und kehrt nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in New York völlig verstört und desillusioniert nach Deutschland zurück. Sie kriecht bei ihrem in Köln lebenden älteren Bruder unter und bittet ihn, den inzwischen vierzehnjährigen David in Spanien abzuholen.«
Kern öffnete erstmals wieder die Augen.
»Weiter!«
»Unmittelbar nach dessen Abreise nach Andalusien nimmt sich die manisch-depressive Frau das Leben. Sie hängt sich in Felix
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