Bitter Lemon - Thriller
zitterte, mischte sie heißes Wasser dazu. Und während sie sich die Haare mit Shampoo einschäumte, löste sich die Denkblockade, verflüchtigte sich wie eine Wolke am Himmel, und mit der Blockade verschwanden die Kopfschmerzen.
Ein kluger Gedanke.
Der Seesack.
Zorans Seesack. Die Szenerie vor dem Gefängnistor stand ihr wieder deutlich vor Augen. Wie Zoran einen flüchtigen Blick auf seine Uhr warf, wie er zufrieden lächelte, sie vor der versammelten Meute in die Arme nahm und ihr zärtlich ins Ohr flüsterte: »Ich werde dich sehr vermissen, Kristina. Pass bitte noch eine Weile auf meinen Seesack auf, ja?« Er hatte vor den Kameras und Mikrofonen Rache geschworen, dann war alles ganz schnell gegangen, wie im Zeitraffer: Das große, schwarze Motorrad jagte auf die Menschentraube zu, Zoran schwang sich hinter den Fahrer, krallte sich in dessen Ledermontur fest, die Maschine heulte auf wie eine wütende Hornisse, und das Hinterrad hinterließ eine Spur verbrannten Gummis auf dem Asphalt. Eine hässliche Spur ins Nichts.
Der Seesack.
Sie spülte sich die Haare aus, drehte den Wasserhahn zu, öffnete die Duschkabine und griff nach dem großen Badetuch. Die Maschine, mit der Zoran Jerkov verschwand, war eine Triumph Tiger 955i, so viel hatte sie inzwischen in Erfahrung gebracht. Mit dem Badetuch wischte sie sich hastig den restlichen Schaum vom Körper und warf es schließlich über den Heizkörper. Ein geländetaugliches und zugleich für lange Strecken ausgelegtes Reisemotorrad, 106 PS stark und 245 Kilogramm schwer. Eine Vierteltonne Leergewicht. Sie nahm ein kleineres Frotteetuch vom Stapel neben dem Waschbecken und lief nackt aus dem Bad ins Wohnzimmer, während sie sich die Haare trocken rubbelte.
Der Raum hatte sich verändert.
Die grelle Deckenbeleuchtung war ausgeschaltet. Stattdessen war die Leselampe neben dem Sofa eingeschaltet.
Im Lichtkegel der Leselampe, auf der Armlehne des Sofas, lag die reparierte Fernbedienung, die sie in zwei Hälften zerbrochen auf dem Fußboden zurückgelassen hatte.
Ihr T-Shirt und ihre Boxershorts, die sie auf dem Weg zum Bad achtlos hatte fallen lassen. Beides hing nun ordentlich über der Rückenlehne des Stuhls vor ihrem Schreibtisch.
»Hübsche Wohnung.«
Sie wirbelte herum. Ihr Herz raste. Vor den geschlossenen Fenstervorhängen, die sie nie zuzog, weil sie das in einer Dachgeschosswohnung für überflüssig hielt, erahnte sie die schattenhaften Umrisse eines Mannes, der ihr den Rücken zuwandte und durch den Spalt zwischen den bodenlangen Vorhängen die Straße beobachtete.
»Verdienen Fernsehreporter so gut?«
»Jedenfalls reicht es noch nicht, um sich so wie Sie auf einer Insel im Mittelmeer vorzeitig zur Ruhe zu setzen. Wie sind Sie hier hereingekommen?«
»Übers Dach. Bitte reden Sie etwas leiser.«
»Wie bitte?«
»Das Dachfenster in Ihrer Küche stand offen.«
»Gewöhnlich benutzen meine Besucher die Tür.«
»Gewöhnlich benutze auch ich lieber die Tür. Bitte ziehen Sie sich jetzt an. Und packen Sie Ihre Zahnbürste ein. Wir müssen schleunigst von hier verschwinden.«
»Sind Sie verrückt geworden? Verlassen Sie auf der Stelle meine Wohnung. Sonst rufe ich die Polizei.«
Bevor sie überhaupt reagieren konnte, war David Manthey mit zwei schnellen, lautlosen Schritten bei ihr, fasste sie am Arm, sanft, aber bestimmt, ignorierte ihre Nacktheit auf eine eigenartig unschuldige Weise, die sich seltsamerweise augenblicklich auf sie übertrug, und zog sie zum Fenster.
»Sehen Sie bitte hinaus. Hinunter auf die Straße. Halten Sie Abstand zum Fenster. Berühren Sie nicht die Vorhänge. Sehen Sie den Mann, der da unten vor Sankt Maria Lyskirchen steht und auf Ihre Haustür starrt? Erkennen Sie ihn wieder?«
Sie nickte, brachte aber keinen Ton heraus. Sie presste das winzige Handtuch gegen ihren Bauch, als könnte das Handtuch etwas gegen das flaue Gefühl in ihrem Magen ausrichten. Unter den Bäumen vor der romanischen Basilika stand dieser Riese mit der seltsam weißen Haut totenblass im fahlen Mondlicht. Der Mann, mit dem sie fast zusammengestoßen war, als sie sich auf dem Weg zum Stavenhof nach David Manthey umgedreht hatte. Er trug immer noch diese monströse Sonnenbrille, mitten in der Nacht. Die gebogenen schwarzen Gläser schmiegten sich um seinen Kopf und wirkten wie die Augen eines bösartigen Insekts. Während sie ihn beobachtete, bewegte er plötzlich ruckartig den Kopf nach oben und starrte sie an.
Manthey stand dicht hinter ihr und
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