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Bitter Love

Bitter Love

Titel: Bitter Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Brown
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sein niedliches Grübchen in einer tiefen Falte versank. »Nimm«, sagte er und hob den Gitarrenkoffer hoch aufs Tor, wo er kurz schwankte und dann in meine Richtung kippte. Ich recktemich hoch, bis ich die schmale Seite zu fassen bekam, und hievte ihn nach unten. Cole war in zwei Sprüngen über das Tor geklettert und landete direkt neben mir   – unsere Gesichter so dicht beieinander, dass sich beinahe unsere Nasen berührten. »Los geht’s«, sagte er und legte seine Hand über meine, als er mir den Koffer abnahm. Ich fühlte mich benommen, aber zugleich bebte mein Körper vor Adrenalin.
    Wir staksten durch das hohe Unkraut und duckten uns unter den niedrigen Ästen der Bäume hindurch, die zwischen Tor und Mauer standen. Als wir aus dem Wäldchen herauskamen, hielt ich die Luft an und presste beide Hände gegen den Bauch. Mein Herz schlug laut.
    Von hier oben sah es so aus, als würde die Betonwand gar nicht mehr aufhören, sie fiel in direkter Linie ab in ein grünes, vermoostes Wasserbecken tief unten. In diesem Moment war ich mir absolut sicher, dass diese Geschichte von dem betrunkenen Mädchen mindestens in einem Punkt stimmte: Falls etwas schiefging, würdest du sterben. Kein Mensch konnte dir dann noch helfen. Den anderen bliebe wirklich nichts anderes übrig, als deinen Namen zu rufen und zu weinen.
    Cole kletterte über eine verrottete Kühlbox aus Styropor und setzte einen Fuß auf die Mauer. Er sah mich versteinert am Rand des Wäldchens stehen und lachte leise. »Mit offenen oder geschlossenen Augen?«, fragte er und machte einen Schritt nach vorn.
    »Cole, lass das, am Ende   …« Er machte noch einen Schritt und breitete dabei die Arme nach beiden Seiten aus, sodass der Gitarrenkoffer dramatisch über dem Abgrund schaukelte. Mein Herz raste und es trieb mirTränen in die Augen. »Offen!«, schrie ich. »Mach die Augen auf!«
    Er blieb stehen, beugte sich lachend vor und stellte den Gitarrenkoffer ab. Dann kam er zu mir zurück, mit ausgestreckten Armen. »Ist alles okay«, sagte er. »Ich hab’s mir angeguckt. Komm schon.«
    In dem Blick, mit dem er mich ansah, lag zugleich Gefahr und Sicherheit. Er nahm mich an den Ellbogen und zog mich mit sanftem Nachdruck durchs Gras, wobei er selbst rückwärts lief. Auf zitternden Beinen und mit widerstrebenden Füßen ließ ich mich von ihm an der weggeworfenen Kühlbox vorbei auf die Betonmauer führen. Ich konnte kaum fassen, dass ich es war, die das hier tat.
    »Siehst du?«, sagte er leise und zog mich in die Mitte der Mauer. »Hier bist sicher, Emily Dickinson.«
    Er ließ meine Arme los, wir drehten uns beide um und schauten über die Mauer. Ich stieß den Atem aus   – ohne es zu merken, hatte ich die Luft angehalten. Ich glaubte, mich übergeben zu müssen. Aber zugleich war ich total aufgekratzt und fühlte mich, als ob ich gerade zu mir käme. Als wäre ich jetzt erst wirklich lebendig. Es kam mir vor, als hätte mich Cole aus der niedergedrückten, stillen Welt befreit, an die ich gewöhnt war. Hier wurde kein Gehirn weggespritzt. Hier gab es nur   … das Leben.
    Eine Weile lang standen wir bloß da und zeigten uns gegenseitig, was wir sahen: das Nest eines Falken in einem Baumwipfel unter uns, Rauch, der von den Picknickplätzen aufstieg, die Scheinwerfer von fahrenden Autos in der Ferne. Schließlich setzte sich Cole, und zwar so, dass seine Beine über die Kante baumelten.Dann drehte er sich um und öffnete den Gitarrenkoffer, rutschte er ein Stück weit nach hinten und klopfte auf den Beton vor ihm.
    »Setz dich«, sagte er und das tat ich. Zitternd ließ ich mich hinuntersinken in das U, das seine Beine bildeten, lehnte mich an ihn und saugte die Wärme des Betons unter uns auf, der die Sonne des Tages gespeichert hatte.
    Er schob mir seine Gitarre in den Schoß, legte sorgfältig den Gurt um meine Schulter, dann nahm er meine Hände in seine und führte sie zu den Saiten. Ich spürte seinen Atem an meinem Ohr, seine gespannten Oberarmmuskeln hinten an meinen Armen und seine Beine, die sich dicht an meine schmiegten. Er zeigte mir ein paar Griffe, indem er meine Finger an die richtigen Stellen setzte, und flüsterte mir die Namen der Akkorde in den Nacken.
    Stundenlang saßen wir so da, mit dem Sternenhimmel über uns   – nur wir beide, allein an einem Ort, der zugleich beängstigend und wunderbar war.
    Ich hatte solche Angst und war derart aufgedreht, dass ich nicht mehr wusste, wo das eine aufhörte und das andere begann. Ich

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