Bitter Love
Vor meinem rechten Auge sah ich alles verschwommen und ich war überwältigt von einer Taubheit, die alles andere verschlang.
Die Nase lief mir bis in den Mund hinein, das Licht war so grell, dass ich die Augen zusammenkneifen musste, die Haare klebten mir im Gesicht. Und Cole sah genauso aus. Wir trauerten gemeinsam und irgendwie fühlte sich das richtig an. Besser jedenfalls. Immerhin ging es mir nicht alleine beschissen. Immerhin hatte er sich selbst auch wehgetan.
Ich beobachtete, wie sich sein Mund bewegte und sich seine Wangen verzogen, als er sich entschuldigte, aberseine Worte kamen nicht bei mir an. Ich beobachtete, wie er sich vorbeugte, um mein Gesicht, meine Haare, meine Augen zu küssen, was wehtat, aber die Verbindung zwischen dem Schmerz und meinem Gehirn schien gekappt zu sein, sodass ich es kaum richtig merkte. Es war, als würde dieser Schmerz zu jemand anderem gehören. Alex war da, aber sie war nicht ich. Sie war jemand anderer, jemand, der nach und nach dichtmachte.
Ich hörte auf zu weinen.
Ich sah mir nur noch zu.
Völlig taub.
Ich sah zu, wie ich langsam auf die Beine kam. Ich sah zu, wie ich die ersten Schritte machte. Ich sah zu, wie ich die Treppe hinunterstapfte, die Haustür öffnete, mir mit dem Handrücken über die Augen wischte. Ich sah zu, wie ich ins Auto einstieg, den Motor anstellte, ausparkte und wegfuhr. Und ich sah zu, wie ich nach Hause kam, in mein Zimmer ging und die Tür hinter mir schloss. Wie ich mich auszog und in meinen Schlafanzug schlüpfte, ohne Licht anzumachen, wie ich mich im Bett zusammenrollte und an die Decke starrte, wobei mir Tränen hinunterliefen und vor meinem inneren Auge in Endlosschleife immer wieder die Szene von eben ablief.
Aber es war, als würde ich mich selbst vom Ende eines langen, dunklen Tunnels aus sehen. Dieses bedauernswerte Mädchen am anderen Ende war geschlagen worden, sie war verwirrt, verwundet und tat mir furchtbar leid. Wer auch immer sie sein mochte.
Kapitel 28
Nach einem kurzen Blick in den Spiegel am Morgen war mir klar, dass ich auf gar keinen Fall aus dem Haus konnte.
Der verschwommene violette Streifen unter meinem Auge war mit Make-up wahrscheinlich leicht zu überdecken, aber mein Wangenknochen war eine Katastrophe. Er war blau verfärbt und angeschwollen, schon allein ihn anzusehen tat weh, von Berührungen ganz zu schweigen.
Wenn du mit diesem Gesicht aus dem Haus gehst, sagte ich mir, musst du jede Menge Fragen beantworten. Bist du dazu bereit? Nein? Das dachte ich mir.
Ich wusch mein Gesicht mit eiskaltem Wasser, aber das brachte nicht viel, es beruhigte nur mein Auge ein bisschen, das sich anfühlte, als wäre Sandpapier unter dem Lid. Es fiel mir immer noch schwer, das Auge ganz zu öffnen, und im Sonnenlicht begann es sofort zu tränen.
Am Ende kroch ich wieder ins Bett, drehte mich auf die Seite und vergrub mein Gesicht im Kissen. Dann rief ich nach Celia.
»Was ist los? Bist du krank oder was?«, fragte sie und streckte den Kopf zur Tür herein.
Ich nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Wenn ichmeine Wange so fest ins Kissen presste wie jetzt, tat sie gleich noch mehr weh. »Kannst du Dad sagen, er soll in der Schule anrufen? Und heute Abend müsste ich arbeiten, also soll er dort auch gleich anrufen.«
»Hast du deine Tage?«
»Nein«, sagte ich. Warum machte Celia immer alles so kompliziert? »Bin wohl erkältet.«
Sie runzelte die Stirn. »Du siehst aber gar nicht so aus.«
Entnervt stöhnte ich auf. »Also … Celia, kannst du das nicht einfach mal für mich machen, bitte?«
»Meinetwegen. Aber wenn du mich anlügst und in Wirklichkeit nur mit Cole rumhängen und Sex haben willst, vergiss es. Das find ich eklig und da mach ich nicht mit.«
Am liebsten hätte ich mit irgendwas nach ihr geworfen. Aber ich konnte meine Wange nun mal nicht vom Kissen heben. Also verabschiedete ich mich von der Vorstellung, sie umzubringen, und setzte stattdessen mein elendstes und bemitleidenswertestes Fiebergesicht auf.
Während sie aus dem Zimmer ging und durchs Haus nach Dad brüllte, fragte ich mich wieder einmal, warum meine Schwestern und ich so ganz den Draht zueinander verloren hatten. Früher, als wir noch klein gewesen waren und Dad in seiner Verzweiflung überhaupt nichts auf die Reihe bekommen hatte, hatten wir drei uns aneinander festgeklammert wie an einen Rettungsring. Der Schmerz, keine Mom mehr zu haben, brannte so sehr, dass wir alles taten, um uns gegenseitig Halt und Geborgenheit zu
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