Bittere Mandeln
vorsichtig in Zeitungspapier und legte ihn sicherheitshalber in den Lieferwagen. Wahrscheinlich würde ich das Set mit zehn Tellern ein paar Tage später zu einem sehr viel besseren Preis als hier auf dem Flohmarkt an einen richtigen Antiquitätenhändler verkaufen können. Mr. Ishida paßte auf meine Sachen auf, während ich zum Wagen und hinterher zur Toilette ging und mir schließlich noch eine schnelle Tasse Kaffee sowie eine Schokoladencrêpe bei einem Straßenverkäufer in Harajuku gönnte.
Als ich wieder an meinem Platz war, bedankte ich mich bei Mr. Ishida, und er kehrte nach Hause zurück, um sich auszuruhen. Ich hingegen beobachtete die Leute rund um mich herum, und wieder einmal wurde mir klar, wie sehr ich es haßte, an einem Ort bleiben zu müssen. In der folgenden Stunde war mein einziger Kunde eine Hausfrau, die drei blau-weiße Untertassen erwarb, weil diese ihrer Aussage nach zu denen paßten, die sie bereits zu Hause hatte. »Jetzt haben Sie ein vollständiges Set mit fünf Teilen«, sagte ich und dachte dabei an meine eigenen guten Verkaufsaussichten für das Set mit zehn Tellern.
Dieser Gedanke lenkte mich jedoch nur kurz von meinen Überlegungen ab, was im Verlauf des Tages womöglich noch passieren würde. Was, so fragte ich mich, hatte Che wohl vor? Womit wollte er ganz Tokio erschüttern? Wenn es sich um etwas wirklich Schreckliches handelte, würde ich mich dann zur Komplizin machen, weil ich Lieutenant Hata nichts gesagt hatte?
Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, als ein kleiner Fuß auf meine Plane gerutscht kam, dem ein kleiner blonder Junge folgte. »Au!« schrie er, als er inmitten meiner Sachen landete, und brach in Tränen aus. Zum Glück hatte es nicht meine soba- Tassen erwischt, sondern die alten Körbe.
»Alles in Ordnung, Kleiner?« fragte ich den Jungen. Das fiel mir angesichts der Tatsache, daß er fast meine Sachen kaputt gemacht hätte, gar nicht so leicht. »Wo ist denn deine Mutter?«
»Mami hat zu tun. Onkel Richard hat mich verloren!« jammerte der Junge. Jetzt sah ich ihn mir genauer an, das Doraemon -Sweatshirt und die blaßblauen Augen. Ich erkannte in ihm Lila Braithwaites mittleren Sohn, der seinerzeit bei meinem Besuch versucht hatte, seiner Schwester mit der Spielzeugschere die Haare zu schneiden. Und mit »Onkel Richard« meinte er ganz offensichtlich meinen Richard, den Öko-Terroristen in spe.
»Du heißt doch Donald, stimmt’s?« fragte ich ihn. Es grenzte schon fast an ein Wunder, daß er ausgerechnet in mein Warenangebot gepurzelt war.
»Nein, David!« verbesserte mich der Junge.
»Na schön, dann also David. Ist Onkel Richard hier mit dir auf den Flohmarkt gekommen?«
Er nickte und weinte noch mehr. Ich spielte mit dem Gedanken, ihn tröstend in den Arm zu nehmen, hatte aber wegen seiner laufenden Nase keine rechte Lust dazu. Statt dessen reichte ich ihm den Rest meiner Schokoladencrêpe. Er steckte ihn in den Mund.
Tja, da stand ich nun also ganz allein mit dem schokoladen-rotzverschmierten Jungen. Jetzt sah ich ein, daß meine Kritik an Lila, die auch einmal von den drei Kindern frei haben wollte, nicht fair gewesen war. Ich kam ja schon mit einem einzigen nicht sonderlich gut zurecht. Es gab nur eine Lösung: Den Jungen so schnell wie möglich zu Richard zurückzubringen.
»Entschuldigung, aber könnten Sie bitte eine Weile auf meine Sachen aufpassen? Es steht überall der Preis dran, und wenn jemand einen Nachlaß will, können Sie zehn Prozent geben«, sagte ich hastig zu dem Händler mittleren Alters, der mich hinter seinem eigenen Angebot erotischer Karikaturen aus dem neunzehnten Jahrhundert schon den ganzen Morgen mit grimmigem Blick gemustert hatte.
»Nein, das könnte ich nicht«, sagte er und schaute noch grimmiger. »Sie sollten Ihre Kinder zu Hause lassen und nicht hier auf den Flohmarkt mitnehmen.«
»Er ist nicht mein Kind!« Es bestand keinerlei Ähnlichkeit zwischen dem rotzverschmierten David und mir, das hoffte ich zumindest.
»Wenn er nicht Ihnen gehört, sollten Sie ihn zur Polizei bringen.« Der Mann wandte sich von mir ab und wieder seinen Erotica zu.
»Tja, dann müssen wir eben zusammenarbeiten«, erklärte ich David. »Magst du Körbe?«
David hängte sich all die Körbe an den Arm oder stellte sie sich auf den Kopf. Jetzt, da ich einen kleinen ausländischen Jungen bei mir hatte, blieben mehr Leute stehen, um zu schauen, und ich verkaufte sogar einen der mit Rotz bekleckerten Körbe, obwohl David zu heulen
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